Menschen und Berufen begegnen
„Go International“: Die Deutsch-Türkische Jugendbrücke und Youth For Understanding haben türkische Berufsschüler nach Norddeutschland eingeladen.
Beeindruckt steht die junge Frau vor dem Ozeanriesen „World Dream“: Ganze 335 Meter misst der 540 Tonnen schwere Luxusliner, der noch im Trockendock der Meyer Werft in Papenburg liegt. Erst im Herbst tritt das Schiff seine Reise Richtung Asien an. „Wow“, ruft Ilayda Karakuzu begeistert, „da wäre ich gern einmal Kapitänin.“ Völlig abwegig ist der Wunsch nicht, denn die 18-Jährige hat immerhin schon eine Schulausbildung im Bereich Seefahrt abgeschlossen – an der Golcuk Anatolian Vocational and Technical High School in Kocaeli im Nordwesten der Türkei. Kleinere Schiffe darf sie bereits fahren. Und Träume sind schließlich dafür da, dass sie in Erfüllung gehen – so wie dieser: Seit ihrer Kindheit wollte Ilayda Deutschland besuchen.
Die Arbeitswelt kennenlernen
Ihr Vater hat dort einst gearbeitet und seiner Tochter nach seiner Rückkehr in die Türkei viel erzählt – vom Land der Dichter und Denker, von sogenannten „deutschen Tugenden“ wie Disziplin und Pünktlichkeit. Anfang August 2017 erfüllte sich Ilaydas Traum. Ein Lehrer hatte sie auf „Go International“ aufmerksam gemacht: Ein Programm, das türkischen Berufsschülern die Gelegenheit gibt, zwei Wochen lang in Deutschland zu leben und in die deutsche Arbeitswelt „hineinzuschnuppern“. Ins Leben gerufen haben das Programm die Deutsch-Türkische Jugendbrücke, eine unter anderem vom Auswärtigen Amt geförderte Initiative der Stiftung Mercator, und das Deutsche Youth For Understanding Komitee (YFU).
Ilayda nutzte die Chance und bewarb sich – mit Erfolg. Gemeinsam mit neun anderen türkischen Berufsschülern – darunter angehende Erzieherinnen, Friseure, Programmierer, Pflegekräfte und Flugzeugmechaniker – reiste sie nach Norddeutschland. „Es war eine tolle Zeit, ich will unbedingt wiederkommen.“ Ein Fazit, über das sich auch Catharina Dufft, Geschäftsführerin der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke, freut
„Es ist der Jugendbrücke wie auch YFU ein besonderes Anliegen, mit ihren Programmen wie ,Go International‘ möglichst viele Jugendliche zu erreichen, auch solche, die von klassischen Austauschmaßnahmen eher seltener erreicht werden. Das gilt beispielsweise für junge Auszubildende und Berufsschüler wie Ilayda, denen wir die Möglichkeit bieten wollen, diese wichtigen Erfahrungen zu sammeln.“ Insbesondere in herausfordernden Zeiten sei es wichtig, in die Zukunft zu investieren und Zeichen zu setzen, sagt Dufft auch mit Blick auf die derzeit belasteten politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. „Auch 2017 ist es unser Ziel, den deutsch-türkischen Jugendaustausch weiter zu entwickeln und weiter zu fördern.“ Nicht nur die Jugendlichen profitierten in hohem Maße von ihrer Austauscherfahrung, „sondern natürlich die Gesellschaft im Ganzen – noch über den friedens- und freundschaftsbildenden Charakter des Austauschs hinaus“, so Dufft.
Aufnahme in Gastfamilien
Ilayda hat viele bleibende Eindrücke gewonnen. Die erste Woche verbrachte sie gemeinsam mit den anderen Teilnehmern in Osnabrück: Morgens lernten sie gemeinsam Deutsch, nachmittags standen Ausflüge auf dem Programm. So besichtigten sie die Neue Osnabrücker Zeitung, den Flughafen Münster und die Verkehrsleitstelle Osnabrück. „Ein Highlight war der Besuch bei Volkswagen in Wolfsburg“, erzählt die 18-Jährige, die im Herbst ein Studium im Bereich Schifffahrt beginnt. Die zweite Programmwoche lebten Ilayda und die anderen Berufsschüler in Gastfamilien und hospitierten in unterschiedlichen Unternehmen.
Mit der Papenburger Meyer Werft als Marktführer im Bereich Luxusliner hat Ilayda einen besonderen Arbeitgeber kennengelernt: Im Ausbildungszentrum der Werft werden jährlich rund 250 junge Menschen aus verschiedenen Nationen in 13 unterschiedlichen Berufen ausgebildet. „Auch in der Ausbildungswelt werden interkulturelle Kompetenzen und Arbeitserfahrungen im Ausland immer bedeutender. Wir sind davon überzeugt, dass besonders jetzt der Austausch mit der Türkei wichtig ist, da gerade in diesen Zeiten die Zivilgesellschaft in der Türkei und der Dialog gefördert werden müssen, um durch persönlichen Kontakt auf deutscher und türkischer Seite Vorurteile abzubauen“, betont Veronica Felgentreu von YFU.
„Neuland“ erforscht
Ilayda hat in Papenburg auch Sören Stark kennengelernt. Der 19-jährige Praktikant, der wie Ilayda in Kürze ein technisches Studium aufnehmen wird, führte die türkische Hospitantin in das rechnergestützte Konstruieren ein. „Das war für mich Neuland, aber sehr aufschlussreich“, erzählt Ilayda. Selbst Hand anlegen durfte sie in der Abteilung für Konstruktionsmechanik: Mit Schutzhelm, Handschuhen und schwerer Schutzkleidung, schweißte sie hochkonzentriert ihre ersten Nähte. Ausbilder Theo Friesenborg war sehr angetan: „Sauber und akkurat! Das gelingt nicht allen so schnell.“ Tauchten doch einmal Probleme beim Fachvokabular auf, übersetzten zwei türkischstämmige Auszubildende.
Viele Eindrücke, viele Menschen, viel Neues – und eine Gastfamilie, bei der Ilayda auch zur Ruhe kommen konnte: Familie Belliki lebt seit fast vier Jahrzehnten in Deutschland, wo auch ihre drei Töchter und ihr Sohn aufgewachsen sind. „Nun sind sie erwachsen, Ilayda ist wie eine vierte Tochter für mich“, freut sich Gastmutter Fidan. Ihre 22-jährige Tochter Medine zeigte Ilayda die Region, auch die Städte Oldenburg und das friesische Leer. Ilayda war begeistert – von den vielen Radfahrern ebenso wie von der Offenheit der Menschen. Ihr Traum, Deutschland kennenzulernen, hat sich erfüllt: „Ich komme wieder. Vielleicht sogar schon im nächsten Jahr.“