Deutsch als Trendsprache
Die deutsche Sprache ist in Israel so beliebt wie nie. Die Zahl der Deutschlerner wächst stetig. Nun bieten die ersten fünf Schulen in Israel Deutsch als Wahlpflichtfach an.
Keren Wagner ist 14 und kommt jeden Freitagnachmittag in eine private Deutschklasse in Jerusalem, und das schon seit elf Jahren. Hebräisch ist ihre Muttersprache, aber neben Englisch und Arabisch will sie auch Deutsch lernen, nicht zuletzt, weil sie in Deutschland geboren wurde. „Da sind Juden und Christen, Israelis und Palästinenser. Wir treffen uns und zeigen, dass wir gut miteinander auskommen. Aber wir streiten uns auch mal“, erzählt die israelische Schülerin – auf Deutsch.
Deutsch als Fremdsprache zu lernen, ist in Israel keine Selbstverständlichkeit. Vor 20 Jahren wäre man als Deutschsprecher auf der Straße noch negativ aufgefallen. Deutsch war die Sprache der Holocaust-Täter. Doch bei jungen Israelis stößt Deutsch auf wachsendes Interesse, auch weil sie neugierig auf Deutschland und die deutsche Kultur sind.
Diese Entwicklung schlägt sich langsam in den israelischen Schulen nieder: Seit dem Schuljahr 2014/2015 können die Schüler an fünf Schulen in Haifa, Tel-Aviv, Rishon le Zion und Eilat Deutsch ab Klasse 10 als Wahlpflichtfach wählen. Rund 70 Schüler haben diese Möglichkeit bis heute ergriffen, wie Tamar Kehat berichtet, Inspektorin für den Deutschunterricht im Erziehungsministerium. Was zunächst als Pilotprojekt gestartet war, wurde im Juli 2015 von Israel und Deutschland in einer Absichtserklärung formalisiert. Kehat hofft, dass im Schuljahr 2016/17 wenigstens zwei Schulen mit Wahlpflichtfach Deutsch hinzukommen werden.
„Wir sind sehr stolz auf diese Vereinbarung“, erklärt Christian Larisika, der die deutsche Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) in Israel vertritt und die israelische Seite in Unterrichtsfragen berät, etwa beim Erstellen eines Deutsc-Curriculums. „Wir treffen hier in Israel auf großes Entgegenkommen, was die Etablierung des Deutschunterrichts betrifft. Deutsch steht bisher überall im Schatten des Englischen, Französischen und Italienischen.“ Auch Chinesisch ist eine starke Konkurrenz: Laut Kehat bieten rund hundert Schulen das Fach an.
Der größte Anbieter von Deutschunterricht in Israel ist das Goethe-Institut. Jörg Klinner, der in Tel Aviv die Sprachabteilung des deutschen Kulturinstituts leitet, zählt jährlich rund 2000 Kursteilnehmer, 300 mehr als in den vergangenen Jahren. Viele sind im Erwachsenenalter. „Wir haben keine generelle Tabuisierung der deutschen Sprache mehr“, sagt Klinner. Neben dem Goethe-Institut bieten seit 2007 auch die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien an den Universitäten in Haifa und Jerusalem deutsche Sprachkurse an.
Neben den schon genannten fünf Schulen mit Deutsch als Wahlpflichtfach gibt es fünf weitere Schulen, die teils seit mehr als 20 Jahren Deutschunterricht anbieten. Dazu gehört Keren Wagners „Freitagsschule“ in Jerusalem, ein privater Verein. Auch zwei arabisch-christliche Schulen in Nazareth unterrichten Deutsch. Sie alle sind Teil des weltweit gespannten Netzwerks „Schulen: Partner der Zukunft“, kurz PASCH, das vom Auswärtige Amt initiiert wurde. An den mehr als 1800 PASCH-Schulen weltweit hat Deutschunterricht einen besonders hohen Stellenwert.
Ein wichtiger Baustein auch für Israel, um den Deutschunterricht zu professionalisieren, ist der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen“ (GeR). Die hebräische Version wurde im Mai 2016 dem Erziehungsministerium überreicht. Der Referenzrahmen beschreibt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten Deutschlerner für eine erfolgreiche Kommunikation erwerben müssen, und die Kriterien, mit denen die verschiedenen Kompetenzstufen verbindlich gemessen werden können.
Bei einer Fachkonferenz in Tel Aviv, die die Veröffentlichung der hebräischen GeR-Fassung begleitete, ging es etwa um die Frage, welches Sprachniveau ausländische Pflegekräfte erwerben müssen, um ihren Beruf adäquat ausüben zu können. So hilft der GeR auch, um Teilqualifikationen in einer Sprache festzulegen, wenn ein volles Beherrschen nicht erforderlich ist beziehungsweise die Zeit zum Erlernen nicht reicht. Praktisch wird der GeR bei der Vermittlung der europäischen Sprachen in Israel auch schon verwendet, wie Kehat erklärt.
Eine große Aufgabe bleibt die Lehrerfortbildung. Bisher wird nämlich Fachdidaktik Deutsch noch nicht an israelischen Universitäten gelehrt. Deutschlehrkräfte in Israel sind entweder Absolventen deutscher Hochschulen oder haben über Didaktikmodule des Goethe-Instituts ihre Lehrbefähigung erhalten. Das Goethe-Institut stellt zudem Unterrichtsmaterialien zur Verfügung und seine Expertise in der Gestaltung von Lehrplänen und Prüfungen. Und im Juli 2016 ermöglicht es zwei Schülern der Rabin-Schule in Eilat mit einem Stipendium, Israel bei der Internationalen Deutscholympiade in Berlin zu vertreten.
Das PASCH-Netzwerk fördert neben dem Deutschunterricht auch Partnerschaften zwischen DSD-Schulen und deutschen Schulen. Bei der Suche nach Partnern hilft der Pädagogische Austauschdienst der Kultusministerkonferenz. So drehten 2013 Schüler der Ironi-Alef-Schule in Tel Aviv und des Paul-Klee-Gymnasiums in Overrath (Nordrhein-Westfalen) gemeinsam einen Dokumentarfilm über das Schicksal einer deutsch-jüdischen Familie im Zweiten Weltkrieg und danach.
Dass Deutsch nicht gleich Deutsch ist, erfuhren Israelis im April bei der Veranstaltung „Germanit mal 3“, auf der sich Deutschland, Österreich und die Schweiz als Kultur- und Reiseländer vorstellten. Drei Tage lang luden die diplomatischen Vertretungen zu Lesungen, Konzerten und szenischen Aufführungen in Haifa, Beerscheba und Tel Aviv ein. Die Grußworte „Hallo, Servus und Grüezi“ verwirrten wohl manch deutschlernenden Israeli. Keren Wagner hätte damit keine Verständnisprobleme. Zwei ihrer Mitschüler in der „Freitagsschule“ wurden in der Schweiz geboren. Trotzdem wünscht sich Keren Deutsch als Wahlpflichtfach an ihrer Schule. „Dann wäre meine Grammatik sicherlich besser“, sagt die 14-Jährige bescheiden – in sehr gutem Deutsch. ▪
Ulla Thiede