Gut ausgebildet nach deutschem Vorbild
Deutschlands duales Ausbildungssystem ist so gefragt wie nie. Immer mehr Länder nehmen sich das Modell zum Vorbild.
Direkt nach der Ausbildung hat Sergej Majsukow eine Stelle gefunden. Seit Juli 2012 arbeitet der 21-Jährige in der Lampenfertigung der Siemens-Tochter Osram in seiner Heimatstadt Smolensk. Ein so reibungsloser Übergang in den Beruf ist in Russland nicht selbstverständlich, denn die meisten Berufsschüler haben dort kaum Kontakt zur Wirtschaft. Osram bietet in Smolensk seit fünf Jahren eine duale Ausbildung an. Dazu gehört neben dem theoretischen Unterricht praktische Arbeit in der Lehrwerkstatt und in der Produktion. „Die vielen praktischen Übungen sind sehr wichtig, denn so kommen wir gut qualifiziert in die Produktion“, erzählt Majsukow.
Smolensk oder Budapest, Barcelona oder Lissabon, Puebla oder Shanghai – auf der ganzen Welt werden immer mehr junge Menschen dual ausgebildet. China, Indien, Russland und viele Länder Lateinamerikas interessieren sich für das traditionsreiche deutsche Modell, und seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ist auch in der Europäischen Union der Informationsbedarf stark gestiegen. „Früher galt die deutsche Ausbildung als exotisch“, sagt Steffen Bayer, Leiter des Referats „Berufsbildung im Ausland“ beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Das hat sich völlig gewandelt.“ Hauptgrund dafür ist die sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Im EU-Durchschnitt hat etwa ein Viertel der unter 25-Jährigen keine Arbeit, in Spanien und Griechenland sogar mehr als die Hälfte. Länderübergreifend hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es in Deutschland vor allem dank der dualen Ausbildung vergleichsweise wenige junge Arbeitslose gibt. Denn hier sind die Jugendlichen von Anfang an in den Arbeitsalltag ihres Betriebs eingebunden. Bei der Festlegung von Inhalten, Qualitäts- und Prüfungsstandards arbeiten Staat und Wirtschaft eng zusammen.
Als erstes Land will Spanien sein Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild komplett umgestalten. Die Bildungsminister von Deutschland und Spanien haben eine stärkere Zusammenarbeit in der Berufsbildung vereinbart. Eine Vorreiterrolle spielt der Automobilhersteller Seat, der an seinen spanischen Produktionsstätten seit September 2012 dual ausbildet. „Der technische Anspruch unserer Produkte hat sich über die Jahre stark weiterentwickelt, damit ist auch der Anspruch an die Fähigkeiten und Flexibilität unserer Mitarbeiter gestiegen“, erklärt Seat-Personalvorstand Josef Schelchshorn. „Das duale Bildungssystem nach deutschem Vorbild deckt diese Anforderungen ab.“ Bei der Konzeption ließ sich Seat von der Konzernmutter VW beraten. Die angehenden Kraftfahrzeugmechatroniker, Industrie- und Werkzeugmechaniker und Elektroniker für Automatisierungstechnik verbringen künftig etwa die Hälfte ihrer dreijährigen Ausbildung im Werk.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das die berufliche Aus- und Weiterbildung in Deutschland erforscht und weiterentwickelt, wird den Umbau des spanischen Ausbildungssystems unterstützen. Weltweit arbeitet das BIBB mit rund 30 Partnereinrichtungen zusammen, mehr als die Hälfte davon in Europa. Seit ein bis zwei Jahren ist die Zusammenarbeit mit vielen Partnern intensiver geworden, neue Abkommen wurden mit Chile, Kolumbien und Mexiko geschlossen. „Natürlich kann man das deutsche Ausbildungsmodell nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen“, sagt Michael Wiechert, Leiter des Arbeitsbereichs „Internationale Kooperation und Beratung“ beim BIBB. Aber das Institut könne den Partnern dabei helfen, Standards in der beruflichen Bildung zu erarbeiten und die Rolle der Unternehmen in den rechtlichen Rahmenbedingungen festzuschreiben. „Das Wichtigste ist, die Wirtschaft mit ins Boot zu holen“, betont Wiechert. Im Ausland werde oft darüber gestaunt, dass in Deutschland die Betriebe 70 Prozent der Ausbildungskosten tragen. „Aber wenn man die richtigen Kompetenzen zur richtigen Zeit am richtigen Ort haben will, lohnt sich das für die Firmen.“
Es sind nicht nur staatliche Einrichtungen, die den Export des deutschen Ausbildungssystems vorantreiben. Viele deutsche Unternehmen sind auf dem Gebiet schon länger aktiv, und zwar aus ureigenem Interesse: Schließlich sind nicht nur ihre ausländischen Produktionsstätten, sondern auch deren Zulieferer und Kunden auf gut qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Erste Ansprechpartner für Unternehmen sind in solchen Fragen die deutschen Auslandshandelskammern (AHK), die es in 80 Ländern gibt. Besonders viel Erfahrung mit dualer Ausbildung haben die AHKs in Shanghai, die seit über zehn Jahren Unternehmen der Region berät und betreut, und die Kammern in Lissabon und Porto. Letztere bilden schon seit fast 30 Jahren gemeinsam mit deutschen und portugiesischen Unternehmen Kraftfahrzeugmechatroniker, Industriekaufleute und Hotelfachkräfte praxisorientiert aus. Die Zentren und Ausbildungsprogramme sind unter dem Markennamen „Dual“ in ganz Portugal bekannt, 90 Prozent der Auszubildenden werden übernommen. Das Modell hat gute Chancen, landesweit Bedeutung zu erlangen: Mittelfristig will nämlich auch die portugiesische Regierung ein duales Ausbildungssystem einführen.
Um den Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs im Ausland zu decken, hat sich der Siemens-Konzern besonders viel einfallen lassen. Er bildet nicht nur an zahlreichen Standorten, wie in Smolensk, dual aus: Die Siemens Technik Akademie hat außerdem auf vier Kontinenten ein mehrstufiges duales Aus- und Weiterbildungsprogramm in Mechatronik etabliert. Das „Siemens Mechatronic Systems Certification Program“ (SMSCP) für angehende technische Fachkräfte und Ingenieure wird seit 2006 angeboten, unter anderem in den USA, Südafrika, Indien, Malaysia und Großbritannien. Die Lehrer der Partnerschulen und -hochschulen werden an der Technik Akademie ausgebildet und setzen das Programm dann in ihrem Heimatland um, das Zertifikat ist international anerkannt. Kernelemente des deutschen dualen Ausbildungssystems ließen sich mit dieser Methode unkompliziert in andere Länder übertragen, ohne dass man bestehende Bildungsstrukturen grundsätzlich ändern müsste, meint der Leiter der Siemens Technik Akademie, Stephan Szuppa: „Wir glauben, dass diese Saat aufgeht und wächst.“
Miriam Hoffmeyer