Gründen mit Chuzpe
Wie Startups aus Israel der deutschen Wirtschaft einen Innovationsschub geben.
Warum so zaghaft? Deutsche Unternehmen sollten sich öfter vom mutigen Gründergeist israelischer Startups inspirieren lassen.
Eine gewisse Zurückhaltung – die „German Angst“ – gilt als typisch deutsch. Anders ausgedrückt: Deutsche lieben die Sicherheit und scheuen das Risiko. Man muss diese Haltung nicht schlecht finden, denn darin steckt auch der Hang zur Präzision, nur ist sie manchmal eben hinderlich.
In Israel gibt es eine Eigenschaft, die man als das Gegenteil der „German Angst“ beschreiben könnte: die Chuzpe. Das jiddische Wort beschreibt eine Unverfrorenheit, die jedoch so charmant und klug vorgetragen wird, dass man ihr nicht widerstehen kann. Das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen wäre gut – auch für die Wirtschaft beider Länder. Um solche Synergien zu erzeugen, wurde das German Israeli Startup Exchange Program (GISEP) gegründet.
Hinter dem Austauschprogramm GISEP stehen der Bundesverband Deutsche Startups sowie das Bundeswirtschaftsministerium. Ziel ist es, die deutsch-israelischen Geschäftsbeziehungen auf dem Feld der Startups zu vertiefen. GISEP fungiert als Plattform sowie als Vermittler. Kontakte, Informationen auf Englisch und Workshops sollen israelischen Startups den Zugang zum deutschen Markt erleichtern.
Startup-Nation Israel
Israel ist zwar kaum größer als das deutsche Bundesland Hessen, zählt aber zu den größten Gründernationen weltweit. Wohl nirgends sonst ist die Dichte an Startups so hoch wie in Israel, nirgends sonst ist das Risikokapital pro Kopf höher. Mehr als 300 internationale Konzerne sind mit Forschungszentren in Israel vertreten; die deutschen Unternehmen Volkswagen, Daimler und BMW betreiben Innovation Hubs in Tel Aviv. Robert Bosch unterhält dort ein Venture-Capital-Büro. Landesweit gibt es mehr als 6.500 Startups und 92 Nasdaq-Unternehmen, fast die Hälfte der Exporte aus dem Industriesektor sind High-Tech-Produkte. Das belegt eindrucksvoll diese Startup-Landkarte von Israel:
Der digitale Knoten des Landes ist der Großraum Tel Aviv, auch Silicon Wadi genannt, in Anlehnung an das kalifornische Technologieparadies Silicon Valley. Aus Tel Aviv kommen die erfolgreiche Echtzeit-Karten-App Waze, die Kryptowährung Bancor und LawGeex, ein Programm, das Juristen hilft, auffällige Passagen in Verträgen und anderen Dokumenten zu finden.
Der Staat unterstützt seine Gründer mit vielfältigen Programmen. Bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die Forschung und Entwicklung. Die Israel Innovation Authority fördert landesweit Startups – auch jene, die mit einem riskanten Geschäftsmodell ins Rennen gehen. Universitäten und Forschungsstätten sind die Innovationsmotoren, aber auch das Militär ist taktgebend.
Viele Startups tüfteln am zivilen Einsatz von Erfindungen, die ursprünglich aus dem Militär kamen. Ein bekanntes Beispiel sind die Fahrassistenzsysteme von Mobileye, die unter anderem in den Fahrzeugen von Audi und BMW stecken. Die Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schlagen eigens dafür vorgesehene Einrichtungen, etwa Yisumm, das für den Technologietransfer aus der Hebrew University sorgt. Seit seiner Gründung im Jahr 1964 hat Yissum mehr als 10.000 Patente hervorgebracht.
Perfekte Verbindung: Israelischer Gründergeist und Berlins Startup-Szene
Doch während die Startbedingungen in Israel nahezu perfekt sind, ist der Inlandsmarkt mit knapp neun Millionen Einwohnern sehr klein. Groß werden die Unternehmen vor allem in den USA, immer öfter auch in Deutschland und dort vor allem in Berlin. Dass Deutschlands Hauptstadt junge Talente anzieht, ist nicht neu; die Stadt ist cool, kreativ, offen und immer noch vergleichsweise günstig. Neu ist, dass sich die Startup-Szene in Berlin professionalisiert hat. Die Zahl der Inkubatoren, Acceleratoren und Company-Builder ist gewachsen, genauso die Summe des Wagniskapitals, das in Berlin zirkuliert. Die Infrastruktur ist hervorragend und der deutsche Markt bietet exzellent ausgebildete Fachkräfte, zudem ist die Startup-Community gut vernetzt.
Es ist der besondere israelische Gründergeist, der auch die GISEP-Botschafterin Andrea Frahm fasziniert. Die Marketingexpertin hat eine Weile in Israel gelebt und ist überzeugt, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland von der israelischen Kreativität profitieren kann. „Wir mögen zwar das Auto erfunden haben“, sagt Frahm, „aber disruptive Technologien für autonomes Fahren werden heute in Israel erforscht und entwickelt.“
In Israel wird über Hierarchiegrenzen hinweg an kreativen Lösungen gearbeitet. Diese unkonventionelle Vorgehensweise kann nicht nur großen Playern wie Siemens, Daimler oder der Deutschen Telekom einen Innovationsschub geben, sondern auch dem breit aufgestellten deutschen Mittelstand. Letzterer hat viele „Hidden Champions“, versteckte Weltmarktführer, hervorgebracht und beschäftigt mehr als 70 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland – nur weiß das kaum jemand. Ein wenig Chuzpe kann da wirklich nicht schaden.
Die nächsten Gelegenheiten zum Austausch bieten sich bei der Young Tech Enterprises auf der Hannover Messe ab 1. April 2019 und bei der German Israel Week 2019 im September, die der Bundesverband Deutsche Startups ausrichtet.