„Ein Leben wie ein Abenteuerroman“
Was das Universalgenie Alexander von Humboldt mit Klimawandel und Nachhaltigkeit zu tun hat, erklärt Bestsellerautorin Andrea Wulf.
Frau Wulf, was fasziniert Sie an Alexander von Humboldt?
Sein Leben liest sich wie ein Abenteuerroman. Alexander von Humboldt war neugierig, abenteuerlustig, visionär, rastlos – der perfekte Protagonist für eine Biografie. Und wer über einen Entdecker schreibt, muss natürlich viel reisen – alles im Namen der Wissenschaft. Ich habe noch nie so viel Spaß gehabt, ein Buch zu schreiben, wie bei den beiden Humboldt-Büchern.
Im März erscheint Ihr zweites Humboldt-Werk. Wie ist es dazu gekommen?
Kurz bevor ich die Biografie 2014 abgeschlossen hatte, wurden Humboldts Tagebücher der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Auf den ersten Blick wusste ich, dass ich daraus etwas machen muss. Es war ein ganz besonderer Moment: 4.000 Seiten gespickt mit Humboldts Zeichnungen und Skizzen. Er war ein unglaublich visueller Mensch. Ich kannte natürlich den Inhalt, aber seine Art zu denken ist erst richtig zu begreifen, wenn man seine Manuskripte in den Händen hält und liest. Mein Buch ist eine Hommage an diesen einzigartigen Abenteurer und Universalgelehrten, der so mühelos Kunst und Wissenschaft vereinte.
Während Ihrer Recherchen reisten Sie auf Humboldts Spuren durch Lateinamerika. Was hat Sie besonders beeindruckt?
Ganz besonders war der Besuch des Chimborazo, dort hat Humboldt sein revolutionäres Naturverständnis entwickelt. Als er von fast 6.000 Metern auf die Welt herunterblicke, wurde ihm klar, dass die Natur global ist, ein lebendiges Ganzes, bei dem alles zusammenhängt. Die Reise von Quito nach Chimborazo war für ihn wie eine botanische Reise vom Äquator bis zu den Polen. Er hat gesehen, wie die Vegetationszonen der Welt hochkant aufeinandergestapelt auf dem Weg lagen. Von den tropischen Pflanzen im Tal bis hin zur letzten kleinen Flechte. Dieser Moment war für ihn so wichtig, deshalb musste ich das auch sehen.
Was hat die Lateinamerikareise bei Alexander von Humboldt ausgelöst?
Humboldt ist als reiner Wissenschaftler nach Südamerika gereist und als visionärer Denker aber auch als Künstler zurückgekommen. Er war so inspiriert von den Landschaften und beschrieb sie nicht nur wie ein Wissenschaftler, sondern kombinierte poetische Landschaftsbeschreibungen mit wissenschaftliche Beobachtungen. Humboldt hatte ein unglaubliches Gedächtnis, daher konnte er immer wieder Vergleiche ziehen, zum Beispiel, dass alpine Pflanzen in Südamerika den Pflanzen ähneln, die er in den Schweizer Alpen oder den Pyrenäen gesehen hatte. Nur so konnte er die Natur als globale Kraft sehen und globale Vegetations- und Klimazonen vergleichen.
Außerdem hat ihn die Reise zum lebenslangen Gegner der Sklaverei gemacht, weil er sah, wie die Sklaven und die indigenen Völker von den spanischen Kolonisten behandelt wurden. Und in Lateinamerika begriff Humboldt, dass der Mensch die Natur zerstören kann. Er beschrieb dies immer wieder, wie beispielsweise an der Küste Venezuelas die Perlenfischerei die Austernbänke zerstörten oder wie die Bewässerungsanlagen in Mexiko-Stadt die umliegenden Täler austrockneten.
Was können wir 2019 von Alexander von Humboldt lernen?
Das Interdisziplinäre: Humboldt widmete sich stark übergreifend einer großen Breite an Themen und Disziplinen und brachte Kunst und Wissenschaft zusammen. Wir tendieren dazu, eine starke Grenze zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven zu ziehen. Das fängt damit an, dass wir Kindern sagen: Du bist eher mathematisch oder künstlerisch begabt. Humboldt scheute sich nicht, die Natur poetisch zu beschreiben und er sagte ganz klar: Wir müssen die Natur fühlen, um sie zu verstehen. Eine weitere Lehre ist, dass er unsere Erde als ein zusammenhängendes lebendiges Ganzes sah. Nur so können wir die Zusammenhänge des Klimawandels verstehen und unsere Macht, die Natur zu zerstören.
Ihre Art, Humboldts Leben nachzuzeichnen, ist sehr poetisch, gerade im Vergleich mit deutschen Sachbüchern.
Vielen Dank! Ja, das deutsche akademische Sachbuch ist gerne mal recht trocken gehalten. Meine Recherchen sind zwar auch sehr aufwändig und akademisch und ich sitze jahrelang in Archiven, lese nur Primärquellen. Aber ich versuche trotzdem Leben in die Erzählungen zu bringen. Das ist der große Unterschied zwischen deutschen und englischen Geschichtsbüchern. Dieser lässt sich sogar aus den Begriffen ableiten: Im deutschen Wort „Geschichte“ steckt das Wort „Schicht“, und so bearbeitet man die Themen, eine Schicht nach der nächsten. Das englische Wort „history“ hingegen enthält das Wort „story“ – und es ist schließlich immer eine Geschichte, die es zu erzählen gibt. Ich versuche, die Person, über die ich schreibe, zum Leben zu bringen. Aber natürlich basierend auf Fakten, sonst würde ich historische Romane schreiben.
Interview: Sabrina Pfost
Andrea Wulf wurde in Neu-Delhi geboren und wuchs in Deutschland auf. Seit mehr als zwanzig Jahren lebt sie in London, arbeitet als Journalistin und Autorin. Sie schreibt unter anderem fürs „Wall Street Journal“, die „New York Times“, den „Guardian“ und sie arbeitet regelmäßig für die BBC. Ihr erstes Humboldt-Werk „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ landete auf den Bestsellerlisten der „New York Times“ und des „Spiegel“ und wurde in mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihr neues Buch „Die Abenteuer des Alexander von Humboldt“ erscheint am 25. März 2019 in Deutschland.
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