„Wir wollen Empathie ermöglichen“
Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, über digitale Angebote und zukunftsgerichtete Museumsarbeit.
Das Jüdische Museum Frankfurt ist das älteste städtische jüdische Museum der Bundesrepublik Deutschland. Nach umfangreicher Renovierung und Erweiterung wurde es im Oktober 2020 wiedereröffnet.
Frau Professorin Wenzel, was kann ein Haus wie das Jüdische Museum Frankfurt im Spannungsfeld zwischen Erinnern und dem Vermitteln für die Gegenwart leisten?
Unser Motto lautet „Wir sind jetzt“. Wir erzählen Geschichte in persönlichen Geschichten und zwar immer mit dem Blick für die Gegenwart. Wir wollen berühren, zum Nachdenken anregen und Empathie ermöglichen – und unseren Besucherinnen und Besuchern so die Pluralität jüdischer Erfahrungen nahebringen. International haben wir ganz unterschiedliche Zielgruppen im Blick: Das reicht von englischsprachigen Teilnehmenden an einer „Jewish Heritage Tour“ bis zu japanischen Touristen, die wir künftig noch besser erreichen möchten – auch vor dem Hintergrund, dass es in Japan ein großes Interesse an der aus Frankfurt stammenden Anne Frank gibt, deren Familiengeschichte wir in unserer Dauerausstellung zeigen.
Unlängst nannten Sie das Jüdische Museum Frankfurt ein „postdigitales Museum“. Was meinen Sie damit?
Ich nutze das Wort „postdigital“, um die Auswirkung der Digitalisierung auf unseren Umgang miteinander in den Blick zu nehmen und das Museum als sozialen Ort zu denken. Ich finde es wichtig, den digitalen Raum als Bestandteil unserer Lebenswirklichkeit zu verstehen und Verbindungen zwischen dem Internet und der Welt der Dinge im Museum zu schaffen. Deshalb haben wir etwa die Anwendung „Museum To Go“ entwickelt. Beim Eintritt in unser Museum erhalten unsere Besucherinnen und Besucher ein Lesezeichen, mit dem sie an verschiedenen interaktiven Stationen unserer Dauerausstellung Filme, Objekte und Informationen einsammeln und dann ortsunabhängig über einen persönlichen Zugangscode auf der Website ansehen können.
Nicht nur als Museumsdirektorin, sondern auch als Professorin arbeiten Sie viel mit jungen Menschen zusammen, bei denen die historische Distanz zur Shoah relativ groß ist. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
In jüdischen Familien ist die Shoah noch sehr präsent, ganz gleich in welcher Generation. In deutschen Familien, deren Vorfahren die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, hingegen weniger – hier herrscht häufig der Wunsch vor, die Geschichte als vergangen zu betrachten. Dennoch gibt es nicht wenige deutsche Jugendliche, die sich mit der Shoah und der jüdischen Geschichte verantwortungsvoll auseinandersetzen wollen. Junge Menschen zu erreichen, ist mir besonders wichtig. Wir reflektieren in unserer Arbeit die jüdische Erfahrung von Vergangenheit und Gegenwart und wollen zugleich die Zukunft gestalten. Einen Zukunftsbezug kann ein Museum nur dann entwickeln, wenn es mit jüngeren Menschen im Gespräch ist.
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