KI – jetzt oder nie!
Warum es für Deutschland und China vorteilhaft wäre, jetzt im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) zusammenzuarbeiten, erklärt ein deutscher KI-Experte in China.
Herr Professor Uszkoreit*, Sie arbeiten für das DFKI in China und erleben Künstliche Intelligenz schon in allen möglichen Formen im Alltag. Welches Gefühl überwiegt: Faszination oder Zweifel?
Mich faszinieren die Entschiedenheit, der Enthusiasmus und die Geschwindigkeit, mit der die KI hier in China aufgenommen, weiterentwickelt und in den Markt gebracht wird. Zweifel überkommen mich dabei weniger, denn das gewaltige Potential der KI ist nun einmal da und schließt neben den großen Chancen auch immer die Gefahr des Missbrauchs ein. Statt Zweifel daher wohl eher die Sorge, dass Europa dieses Potenzial nicht genug nutzen wird.
Was macht China so stark im Bereich Künstliche Intelligenz?
Die chinesischen Erfolge liegen insbesondere in der Kommerzialisierung der KI-Methoden, also in der Entwicklung und Vermarktung von Anwendungen, die durch die KI möglich oder viel besser werden. Die größten Erfolgsgeschichten kommen aus den Bereichen der Bild- und Videoverarbeitung, dem e-Commerce, der Sprachtechnologie und verschiedensten Internetdiensten. Insbesondere sind es sogenannte O2O, also online-to-offline-Anwendungen, die Milliarden-Unternehmen hervorgebracht haben. Das sind zum Beispiel Lieferdienste für Speisen und Getränke sowie Transportdienste wie Didi, das chinesische Uber.
Wo liegen die deutschen Stärken im Bereich Künstliche Intelligenz?
Die deutschen Stärken liegen insbesondere in der tiefen Durchdringung und Beherrschung der Grundlagen der KI und in hochkomplexen industriellen Anwendungen. Die deutsche Forschung hatte immer einen Hang zu hochkomplexen Systemen. Diese Stärken kombinieren sich gut mit den Bedürfnissen der stärksten deutschen Industrien wie Fahrzeug- und Maschinenbau oder Chemie. Auch dort besteht die Stärke im internationalen Wettbewerb in der soliden Beherrschung einer immensen technologischen Komplexität. Das gleiche gilt auch für Software für die Steuerung und Verwaltung großer Unternehmen, ein IT-Gebiet, auf dem Deutschland nicht schlecht dasteht.
Was könnten beide Länder voneinander lernen?
Durch den deutschen Schwerpunkt auf KI für Industrie 4.0 und die intelligente Transformation großer Unternehmen gibt es hervorragende Anknüpfungspunkte. In diesen Gebieten liegt die chinesische KI-Forschung stark zurück, während sie in der Internet-KI und Computer Vision, also dem Maschinellen Sehen, Deutschland bereits überholt hat. Die deutsche Industrie sieht eine große Chance in der Kooperation auf diesen Gebieten. Die deutsche Politik muss sich nur von der Angst befreien, dass unsere wertvolle KI-Technologie nach China abfließen könnte, und stattdessen gemeinsam mit der Wissenschaft und der Industrie Modelle der Kooperation entwickeln, so dass die Technologien zu beiderseitigem Nutzen schnell und bestmöglich eingesetzt werden.
Sie koordinieren für das DFKI die deutsch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich Künstliche Intelligenz. Können Sie uns ein aktuelles Projekt nennen?
Das DFKI hat mehrere Kooperationsprojekte mit chinesischen Unternehmen. Lassen Sie mich eines beispielhaft erwähnen. Das DFKI hat die Firma Lenovo dabei unterstützt einen Chatbot zu entwickeln, der jetzt bereits in 30 Ländern und fünf Sprachen in der Kundenbetreuung eingesetzt wird. Er spart Lenovo Kosten und den Kunden Zeit und Nerven. Teil dieses Chatbots ist ein Knowledge Graph für Lenovo Produkte. Dieser Wissensspeicher in der Form eines Netzwerks gibt dem Chatbot das notwendige Wissen über die Produkte, Ersatzteile sowie ihre Konfigurationen und Kompatibilitäten. Somit ist der Chatbot ein Beispiel für die gelungene Kombination von maschinellem Lernen und explizitem Wissen, das die Maschine und der Mensch nutzen können.
Und was planen Sie für die Zukunft?
Was mich derzeit stark beschäftigt, ist die Suche nach geeigneten Modellen und Chancen für eine engere deutsch-chinesische Kooperation in der KI-Forschung. Das hat sehr viel mit den bestehenden Kooperationsprojekten zu tun und mit den vielen bestehenden Chancen zu weiterer Zusammenarbeit, die wir derzeit noch nicht nutzen können, weil uns die organisatorischen Instrumente fehlen. Nicht nur politisch und ökonomisch erleben wir nämlich eine dramatische Verschiebung der globalen Gewichte, sondern auch in Forschung und Technologieentwicklung. Weil die neue Aufstellung noch im Entstehen ist, müssen wir darin selbstbewusst und angstfrei unseren Platz finden.
Interview: Martin Orth
*Prof. Dr. Hans Uszkoreit ist ein deutscher Computerlinguist, der nach seiner Promotion in den USA als Informatiker am Artificial Intelligence Center der Stanford University arbeitete und heute als wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) die Kooperation mit China von Peking aus leitet.
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