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Ein Netzwerk für die „Weiße Stadt“

Deutsche und israelische Denkmalschützer engagieren sich gemeinsam für den Erhalt der Bauhausarchitektur in Tel Aviv.

24.03.2014
© BMUB - Tel Aviv

Tel Aviv gilt als die Weiße Stadt. An keinem anderen Ort auf der Welt findet sich eine so große Ansammlung von Gebäuden im Bauhaus-Stil – Deutschlands berühmtester, und von den Nationalsozialisten geschlossener, Kunst -und Architekturschule. Die etwa 4000 hellen und funktionalen Bauten mit ihren flachen Dächern und den tiefen, abgerundeten Balkonen prägen das Bild der gesamten Altstadt bis hin zum Meer. Als Leiter eines Forschungsteams aus Denkmalschützern, Architekten und Restauratoren war Gereon Lindlar im Oktober 2013 zum ersten Mal in Tel Aviv. Der Restaurierungsberater aus Bonn war fasziniert von der einheitlichen Bebauung und dem ursprünglichen Zustand der Häuser. „Vom Putz über die Leuchten am Haus bis hin zu den Einfassungen der Beete ist alles noch im Original erhalten“, sagt er.

Eine spannende Entdeckung für das Expertenteam: Viele dieser Baumaterialien stammen aus Deutschland. Denn die in den 1930er-Jahren errichteten Wohnsiedlungen wurden unter anderem von emigrierten deutschen Architekten gebaut. 
„Einen Großteil ihres Vermögens durften die deutschen Juden nur in Form von Gütern mitbringen“, erklärt Dr. Dietlinde Schmitt-Vollmer vom Institut für Architekturgeschichte in Stuttgart, die dem Forscherteam als Historikerin angehört. „Und so sind in den Häusern der Weißen Stadt bis heute Stromschalter, Türgriffe und Fenster aus dem Deutschland der dreißiger Jahre erhalten.“

Seit 2003 gehört das beeindruckende Bauhaus-Ensemble zum Weltkulturerbe der UNESCO. Doch zehn Jahre nach dem Beschluss droht die Bildungs- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen mit dem Entzug des Status. Denn die in der Sonne leuchtend weißen Fassaden wirken aus der Nähe betrachtet weniger prachtvoll. Der von der Seeluft angegriffene Putz bröckelt von den Wänden, viele Häuser in der von Erdbeben bedrohten Region sind einsturzgefährdet. Und so steht der Denkmalschutz in der schnell wachsenden Stadt vor einer gewaltigen Herausforderung. „Uns fehlen das Know-how und die handwerklichen Fähigkeiten, um die Häuser fachgerecht zu sanieren“, betont Stadtarchitektin Sharon Golan Yaron, die sich in Tel Aviv um den Denkmalschutz kümmert.

Hier setzt das vom Bundesbauministerium unterstützte Projekt „Netzwerk Weiße Stadt Tel Aviv“ an. „Uns geht es darum, das gemeinsame geschichtliche und baukulturelle Erbe zu bewahren“, erklärt Miriam Hohfeld. Die Diplom-Ingenieurin betreut das Projekt beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Zu den Projektpartnern gehören neben der Stadt Tel Aviv und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auch Handwerkskammern, Bauhaus-Institutionen und Universitäten. „Unser Ziel ist es, deutsche und israelische Experten und Partner aus allen Bereichen des Bauwesens zusammenzubringen“, so Hohfeld. „In enger Abstimmung mit den israelischen Akteuren möchten wir gemeinsam Strategien dazu entwickeln, wie sich die Weiße Stadt 
effizient, nachhaltig und zugleich denkmalgerecht sanieren lässt.“

Ein wichtiger Schritt ist der Aufbau eines Zentrums für denkmalgerechtes Bauen. Mit dem Max-Liebling-Haus, einer von Dov Karmi entworfenen Villa in der Idelson Street, stellt die Stadt Tel Aviv dem deutsch-israelischen Netzwerkprojekt ein repräsentatives Gebäude zur Verfügung. Hier soll ein Ort des lebendigen Austauschs entstehen, an dem Experten aufeinander treffen, Handwerker und Restauratoren in Schulungen weiterqualifiziert und junge Menschen aus Tel Aviv für das Kulturerbe ihrer Stadt sensibilisiert werden.

„Der Denkmalschutz hat in Israel keine lange Tradition“, stellt Stadtarchitektin Sharon Golan Yaron fest. „Wir können deshalb von deutscher Seite sehr viel lernen, auch im Hinblick auf nachhaltiges und energieeffizientes Bauen.“ Gereon Lindlar und sein Team haben in Tel Aviv beispielhaft den Bestand und die Vita mehrerer Gebäude des Bauhaus-Ensembles erfasst. Aus dem Befund leiten sie nun einen Maßnahmenkatalog ab.

Die Denkmalschützer schlagen dabei eine Vorgehensweise zur systematischen Erfassung des gesamten Gebäudes vor, die den Bestand raumweise untersucht. Dabei sind sowohl die Fassaden von Interesse, als auch die Details der Innenräume. „Dieser Umgang mit Raumbüchern ist für uns Israelis neu und superspannend“, sagt Sharon Golan Yaron. „Die Stadt ist an dem Informationszentrum sehr interessiert, wir suchen jedoch noch nach einem Partner, der uns bei der Finanzierung unterstützt.“

Die Sanierung der Gebäude selbst wird über ein ganz besonderes Finanzierungsmodell gelöst. Investoren dürfen die in 
Privatbesitz befindlichen Häuser um zusätzliche Geschosse aufstocken, wenn sie den unteren Teil des Gebäudes fachgerecht sanieren. Etwa 800 der unter Denkmalschutz stehenden Häuser sind auf diese Weise bereits saniert worden. Deutsche Experten wie Gereon Lindlar und sein Team betrachten dieses Vorgehen mit vorsichtiger Zurückhaltung. „Aus Sicht des Denkmalschutzes sollte man nicht zu sehr in das Erscheinungsbild eingreifen“, gibt der Restaurierungsberater zu bedenken. „Wir wären da in Deutschland dogmatischer. Auf der anderen Seite zeigt sich 
darin eine Offenheit im Umgang mit Kulturdenkmälern, von der wir vielleicht auch lernen können.“ ▪

Gunda Achterhold

www.netzwerk-weisse-stadt.de