Technik für die Zukunft
Kooperation konkret: Wie Universitäten aus Moskau, St. Petersburg und Ilmenau zusammenarbeiten.

Funkbasierte Sensorik, durch die sich Autos künftig fahrerlos lenken lassen; Sensorsysteme, damit Biomediziner Brustkrebs besser diagnostizieren können oder technische Assistenzsysteme, die pflegebedürftige Menschen etwa beim Wäschewaschen oder bei der Versorgung mit Essen und Trinken unterstützen sollen – die Forschung im Bereich der Sensorsysteme und der Sensornetze boomt derzeit. Bestens aufgestellt sieht sich dafür die Technische Universität (TU) Ilmenau. Ihr Know-how will die TU ausbauen und stärkt deswegen mit der Nationalen Forschungsuniversität Moskauer Energietechnisches Institut (MEI) und der Staatlichen Elektrotechnischen Universität St. Petersburg (ETU) ihre bereits seit den 1950er-Jahren laufende Kooperation mit Russland. 580000 Euro hat sie 2013 vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) eingeworben, um Einzelprojekte mit den beiden Universitäten bis 2016 zu einer Partnerschaft unter dem Namen SPITSE zu bündeln.
Stärken soll SPITSE die binationale Kooperation der Ingenieurwissenschaftler in Lehre und Forschung. An den beiden russischen Universitäten gibt es bereits deutsch-russische Ingenieurfakultäten. Studierende können nun an der ETU St. Petersburg ihren Doppel-Masterabschluss machen, für den sie ein Teil des Studiums in St. Petersburg, den anderen an der TU Ilmenau samt eines Praktikums bei einem Industrieunternehmen absolvieren. Drei Studierende an der ETU sowie mehr als 100 Studierende am MEI, an dem das gemeinsame Masterprogramm schon seit 1998 läuft, haben bereits den Doppelmasterabschluss erworben. „Es sind vor allem die interkulturellen Erfahrungen, die unsere Studenten nutzen möchten, um künftig in Unternehmen breitere Einsatzmöglichkeiten zu haben“, sagt Hannes Töpfer, der an der TU Ilmenau das Fachgebiet für Theoretische Elektrotechnik führt.
Ähnlich argumentiert Igor Zhelbakov, Leiter des Fachgebiets Informationsmesstechnik an der MEI. „Die deutliche Steigerung der Karrierechancen ist der wesentliche Antrieb für unsere Studenten“, sagt er. Sie profitierten vom hohen Praxisbezug der deutschen Ausbildung. Auch Professoren beider Universitäten werden künftig den Austausch intensivieren: Jedes Semester sollen beispielsweise zwei TU-Professoren Vorlesungen in deutscher Sprache an der ETU halten. Im Gegenzug werden russische Kollegen zu Vorlesungen in Ilmenau erwartet.
Ilmenauer Forscher betonen die Stärken der russischen Partner: „Die ETU genießt einen exzellenten Ruf in der wissenschaftlichen Gemeinschaft“, sagt der Leiter des Fachgebiets Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik, Matthias Hein, der die Zusammenarbeit koordiniert und das Netzwerk mit St. Petersburg und Moskau seit vielen Jahren vorantreibt. Die ETU bilde ausgezeichnete Experten aus, betreibe weltweit anerkannte Forschung und trete auf internationalen Konferenzen führend in Erscheinung. „Dies gilt in gleicher Weise auch für die Forschungsuniversität MEI“, sagt Hein, der in der Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlern „persönlich beste Erfahrungen“ gesammelt hat.
Verknüpfen soll das SPITSE-Projekt deswegen zudem die Forschungsaktivitäten der Ingenieurwissenschaftler aus den drei Universitäten zu einem Forschungsverbund. Schon jetzt werden zum Beispiel gemeinsam Doktoranden ausgebildet. Die Kooperation soll nun, etwa über wissenschaftliche Tagungen und Sommerschulen, weiter vertieft werden. Zur Auftaktkonferenz Anfang Juli 2014 kamen 35 Forscher und Studierende aus den beiden russischen Universitäten nach Ilmenau, um Forschungsvorhaben vorzubereiten. „Das SPITSE-Projekt bringt eine wesentlich breitere Zusammenarbeit unserer Universitäten, wodurch neben den erfolgreichen alten, völlig neue Forschungskooperationen entstehen“, sagt ETU-Forscher Zhelbakov. Damit könnten die Unis mehr Fördermittel für die Forschung einwerben. „Diese Kontakte eröffnen uns neue Möglichkeiten, um an internationalen Ausschreibungen der Bundesregierung, der Russischen Föderation und der Europäischen Union teilzunehmen“, freut sich auch der Ilmenauer Wissenschaftler Matthias Hein. ▪
Benjamin Haerdle