Von Roboteranzügen und Asteroidenlandern
Deutschland und Japan setzen unterschiedliche Schwerpunkte in der Forschungspolitik, ergänzen sich dadurch aber auch gut und arbeiten in vielen Spitzenforschungsbereichen eng zusammen.

Ein von japanischen Wissenschaftlern entwickelter Roboteranzug gibt gehbehinderten und gelähmten Menschen neue Hoffnung – auch in Deutschland. Das künstliche Skelett Robot Suit HAL (Hybrid Assistive Limb) stabilisiert den Körper von außen und unterstützt Menschen mit Lähmungen oder Bewegungseinschränkungen dabei, einen Teil ihrer Mobilität wiederzugewinnen. Entwickelt wurde es von Professor Yoshiyuki Sankai. Sein Unternehmen Cyberdyne, als Startup der Universität Tsukuba gegründet, ist seit 2013 mit einer Tochtergesellschaft in Deutschland vertreten. In einer deutschlandweit einzigartigen Studie testen Forscher am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum, welche positiven Effekte der Einsatz von HAL-Systemen in der Rehabilitation bringt. „Ich war von den Möglichkeiten, die sich aus dieser Technik für die Traumatologie ergeben, sofort fasziniert“, sagt Professor Thomas A. Schildhauer, Direktor der Chirurgischen Klinik und Leiter der Forschungsgruppen. Das Bergmannsheil ist das älteste Unfallkrankenhaus der Welt und spezialisiert auf die Behandlung Querschnittsgelähmter. „Wir haben sehr viele Patienten, die für eine Studie infrage kommen.“ Schritt für Schritt entstand ein Konzept für die gemeinsame Erprobung und Weiterentwicklung der HAL-Systeme. Inzwischen ist der Roboteranzug als Behandlungsgerät zugelassen, die Anwendungsgebiete wurden auf Patienten nach Schlaganfall und neuromuskuläre Erkrankungen erweitert.
Deutschland und Japan setzen ganz unterschiedliche Schwerpunkte in der Forschungspolitik. Während Japan die Robotik seit Jahrzehnten massiv unterstützt, steht in Deutschland „Industrie 4.0“ ganz oben auf der Agenda. Dennoch: Gesellschaftliche und umweltpolitische Herausforderungen wie Überalterung und Energiewende treiben Wissenschaftler und Forschergruppen beider Länder zu gemeinsamen Anstrengungen an. Die Kooperationen im Energiesektor sind besonders vielversprechend. „Deutschland gilt in Japan als Vorreiter in der Umwelttechnik“, sagt Regine Dieth, Leiterin des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) in Tokyo. Die Folgen der verheerenden Erdbeben- und Reaktorkatastrophe im Jahr 2011 haben in Japan wie in Deutschland zu einem Umdenken in der Energiepolitik geführt. „Die Stilllegung und Entsorgung von Atomanlagen ist insbesondere seit Fukushima ein wichtiges Thema“, stellt Regine Dieth fest. Ein Symposium zu Dekontaminations-Technologien und Rückbau von Nuklearanlagen, das im April 2015 vom DWIH in Osaka veranstaltet wird, bringt Spezialisten aus Japan und Deutschland zusammen. Teilnehmer sind Wissenschaftler der TU Dresden, des Forschungszentrums Jülich und des Karlsruher Institute of Technology. Auf japanischer Seite werden Forscher des nach dem atomaren Unfall von 2011 gegründeten International Research Institute for Nuclear Decommissioning (tbc) und der Universität Fukui vertreten sein. „Die Tagung stößt auf großes Interesse“, stellt Regine Dieth fest. „Wir sind sicher, dass aus dieser Veranstaltung weitere Forschungskooperationen entstehen werden.“
Auch bei Großprojekten ist Japan ein wichtiger Partner – auf bilateraler ebenso wie auf europäischer Ebene oder im All. Japan ist an vielen europäischen Großforschungsprojekten beteiligt. So arbeitet das japanische Beschleunigerzentrum KEK sowohl mit dem Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY) als auch mit der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN in der Schweiz intensiv zusammen. In der Luft- und Raumfahrtforschung wiederum ist die japanische Raumfahrtagentur JAXA besonders aktiv. Ende Dezember startete der Asteroidenlander Mascot (Mobile Asteroid Surface Scout) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an Bord der japanischen Hayabusa2-Sonde vom Tanegashima Space Centre zum Asteroiden 1999 JU 3. Vier Jahre wird es dauern, bis die Sonde ihr Ziel erreicht. „Das ist derzeit die größte bilaterale Kooperation zwischen Deutschland und Japan in der Raumfahrt“, sagt Niklas Reinke, Leiter des DLR-Büros in Tokyo. Er sieht in der Mission auch einen Beleg für die langjährig gewachsene, heute sehr enge Zusammenarbeit beider Länder in der Luft- und Raumfahrtforschung: Allein mit JAXA unterhält das DLR rund 30 laufende Forschungskooperationen. „Das DLR ist damit eine der deutschen Forschungseinrichtungen, die am intensivsten mit Japan zusammen arbeitet“, so Reinke.
Das große Interesse an deutsch-japanischen Wissenschaftskooperationen spiegelt sich auch in den jährlich rund 80 Bewerbungen um den German Innovation Award, der seit 2008 von deutschen Unternehmen und dem DWIH in Tokio an japanische Nachwuchswissenschaftler vergeben wird. „Forschungsprojekte aus dem Bereich der Biotechnologie, der Materialwissenschaften und der Elektronik sind besonders stark vertreten“, sagt Regine Dieth. „Einige der Bewerber haben bereits einen Bezug zu Deutschland beziehungsweise zu deutschen Kooperationspartnern und möchten diese Zusammenarbeit mit Hilfe des Preises vertiefen.“ Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist seit 2009 mit einem Verbindungsbüro in Tokyo vertreten und beteiligt sich am German Innovation Award mit Kurzzeitstipendien für einen forschungsbezogenen Deutschlandaufenthalt der Preisträgerinnen und Preisträger. ▪