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Künstliche Intelligenz: Nun aber los!

KI könnte ein enormes Potenzial auch in der deutschen Wirtschaft entfalten. Dafür braucht es aber eine Menge Dinge.

26.11.2019
Künstliche Intelligenz: Nun aber los!
© dpa

488 Milliarden Euro oder 13 Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum aktuellen Jahr! Die Zahlen muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Rede ist von dem Potenzial der Künstlichen Intelligenz (KI), wenn sie bis 2025 flächendeckend in Produktion und Alltag eingesetzt werden würde. Ausgerechnet hat das die Unternehmensberatung Arthur D. Little im Auftrag des eco-Verbands der deutschen Internetwirtschaft und mit Hilfe des Vodafone-Instituts für die Studie "Künstliche Intelligenz. Potenzial und nachhaltige Veränderungen der Wirtschaft in Deutschland".

Der größte Batzen, rund 330 Milliarden Euro, sind Kosteneinsparungen. Der Rest sind neue Umsätze, die die KI generieren könnte. Wenn man sie denn ließe, denn in Deutschland werde sie noch zu sehr als ein unbezähmbares Monster betrachtet, das es einzuhegen gilt.

Jeder von uns nutzt schon KI

Die Kombination aus neuronalen Netzen, riesigen Datenbanken und die Fähigkeit zum Lernen macht es möglich, einige menschliche Fähigkeiten nachzuahmen. KI wird zur Bild- und Spracherkennung und zu logischen Schlussfolgerungen genutzt. Heutzutage arbeite sie hauptsächlich unterstützend, sagt Lars Riegel von Arthur D. Little, beispielsweise als App, die den Weg weist oder vor Staus warnt.

Im Alltag sei sie deshalb weiter verbreitet, als man denkt: "Ein durchschnittlicher Nutzer von gängigen Onlineportalen wie z.B. Spotify, Amazon oder Zalando kommt pro Tag knapp hundertmal mit KI-Lösungen im Kontakt." Dann gebe es noch die KI, die Routineabläufe wie die Buchhaltung und die Reisekostenabrechnung übernimmt. Nur ein Prozent der bisherigen Anwendungen seien autonom: Die Algorithmen und Maschinen erledigen den gesamten Prozess von Anfang bis Ende allein, etwa in einem vollständig automatisierten Warenlager. Die Menschen geben hier lediglich die Ziele vor und überwachen die Systeme.

Produktion und Logistik profitieren stark

Untersucht wurden über 150 Anwendungsfälle in verschiedenen Branchen. Für Deutschland als einen ausgeprägten Industriestandort erweisen sich vor allem die Szenarien in der Produktion und Logistik als vielversprechend. Die Maschinen lernen aus der Auswertung ihrer eigenen Daten, energieeffizient zu fahren, die Umrüstzeiten von Maschinen werden kürzer, die Wartung vorausschauend, sodass keine Störungen die Produktion lahmlegen. Modularisierte Produktionsstraßen mit Robotern können eine Vielfalt von Waren schnell und günstig fertigen.

Smarte Qualitätskontrolle, zum Beispiel mit Hilfe eines Sensors und einer Rundum-Kamera würde, so Riegel, die Ausschussquote auf die dritte Stelle hinterm Komma senken - im Vergleich zu heutigen Stichprobe-Sichtungen. Auch kleine und mittlere Unternehmen, die laut eco-Verband smarte Technologien noch sehr zaghaft nutzten, könnten davon profitieren. Eine neue Plattform, der "Servicemeister", will ihnen ab 2020 helfen, mindestens eine oder zwei Anwendungen umzusetzen.

Da in der Industrie 4.0. laufend Produktionsdaten ausgewertet werden, dürften ethische Bedenken und der Schutz personenbezogener Informationen hier keine Rolle spielen. "Statt einer einheitlichen Regulierung der KI ist deshalb eine sektorale Analyse nötig", plädiert eco-Vorstand Oliver Süme. In der Autoindustrie herrscht bereits ein hoher Automatisierungsgrad: Da ist nicht mehr so viel Entfaltungspotenzial für die KI. In der Energiewirtschaft und der Chemie sehen dagegen die Autoren noch viel Luft nach oben.

Neue Berufe wie der Bot-Trainer

Landwirten werden sich ebenfalls ganz neue Chancen eröffnen: etwa einzelne Pflanzen nach Bedarf zu düngen, wässern und schützen. Das steigere den Ertrag, senke die Kosten und belaste die Umwelt weniger. Ins Spiel kämen damit gänzlich neue Geschäftsmodelle, zitiert die Studie Jens Roettig, Projektmanager AI Ethics von Bayer: "In der Landwirtschaft wird es nicht mehr darum gehen, den Verkauf bestimmter Produkte zu maximieren, sondern Landwirten bestimmte Ergebniszusagen in Bezug auf die Ernte machen zu können". Roboter könnten zudem künftig die rar werdenden Erntehelfer aus Osteuropa ersetzen, meint Unternehmensberater Riegel.

Die Auswirkung auf die Arbeitsplätze wurde nicht untersucht. Riegel glaubt jedoch nicht, dass die KI jeden Zweiten arbeitslos machen würde, wie eine gängige Prognose lautet. Vielmehr sehen die Studienverfasser darin ein Mittel, den Fachkräftemangel abzumildern. Es entstehen auch neue Berufe: Wer hätte vor 20 Jahren schon daran gedacht, als Bot-Trainer zu arbeiten? So heißen die Menschen, die einen digitalen Assistenten anlernen, damit er Kundenanfragen selbständig beantworten kann. Vodafone setzt dafür ehemalige Hotline-Mitarbeiter ein.

Schlau wird es nur mit den richtigen Daten

Zukunftsmusik ist es noch, dass man eines Tages in einem Geschäft schon an der Tür automatisch vermessen wird und entsprechend der äußeren Erscheinung, den aktuellen Wetterdaten und Modetrends Kleidungsstücke präsentiert bekommt. Im Handel sehen die Autoren auf jeden Fall ein enormes Einsatzpotenzial. Versandhändler Otto - weltweit die Nummer Zwei hinter Amazon - lässt die KI beispielsweise die Produktempfehlungen durchforsten, um zu erkennen, was den Kunden besonders wichtig ist: Fällt ein T-Shirt zu groß aus? Wie einfach lässt sich ein Gerät bedienen?

"Die KI ist Mittel zum Zweck, unseren Service zu verbessern", so der Otto-Experte Tim Buchholz. "Wir sehen diese Studie als Weckruf und Startschuss, obwohl das Rennen längst begonnen hat", sagt Süme auf dem diesjährigen eco-Kongress in Köln in Richtung Politik und Wirtschaft. Umsonst ist die Umstellung natürlich nicht zu haben: Auf 70 bis 80 Milliarden Euro bis 2025 werden die nötigen Investitionen beziffert. Die Autoren plädieren deshalb für einen staatlichen Techfonds, mehr Risikokapital und Geld für Bildung und Forschung. Die Energieeffizienz müsse von Anfang an mitgedacht werden, es brauche zudem eine verlässliche Infrastruktur und eine Art "Sandkästen", um die Innovationen in einer gesicherten Umgebung zu erproben.

"Letztlich kann man nur herausfinden, ob die Systeme ethischen Prinzipien genügen, indem man sie testet und schaut, was dabei herauskommt", sagt Rafael Laguna, Direktor der vor kurzem gegründeten Bundesagentur für Sprunginnovationen. Die KI werde nur schlau, wenn man sie mit den richtigen Daten füttere, meint Charlotte Rengier, Justiziarin von Bayer: "Für Unternehmen heißt das, dass sie intern ihre Hausaufgaben ordentlich machen müssen."