7-mal Zukunft
An vielen Orten in Deutschland entsteht Nachhaltigkeit: sieben gute Beispiele mit Zukunftspotenzial.
ALPHA VENTUS
Ein Druck auf den gelben Knopf, und es ging los. Am 27. April 2010 startete eine neue Etappe im Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die riesigen Rotoren von „Alpha Ventus“ begannen, Elektrizität in das Seekabel einzuspeisen, das den ersten Offshore-Windpark vor der deutschen Nordseeküste mit dem Stromnetz auf dem Festland verbindet. „Alpha Ventus“ ist ein 250-Millionen-Euro-Pilotprojekt, das Strom für 50 000 Haushalte liefert, und zugleich eine technische Meisterleistung: Zwölf Windräder der 5-Megawatt-Klasse drehen sich hier, weit draußen im rauen Klima auf hoher See, 45 Kilometer vor der Insel Borkum. Die Fundamente der Windkraftanlagen stehen in 30 Meter tiefem Wasser, bis zu den Rotorspitzen sind es 150 Meter; die Gondeln mit den Rotoren und Naben wiegen über 400 Tonnen. Ambitioniert sind auch die Pläne der Bundesregierung: Bis 2030 soll die bei gutem Wind verfügbare Leistung von dann zwei Dutzend Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee 25 000 Megawatt betragen – mehr als doppelt so viel, wie die neun derzeit noch aktiven deutschen Atomkraftwerke aufweisen. Insgesamt liefern Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie und Biomasse bereits 20 Prozent der Elektrizität, bis 2020 sollen es mindestens 35 Prozent sein.
VN-KLIMASEKRETARIAT
Deutschland ist einer der Vorreiter im Klimaschutz. Für die Bundesregierung war es nach dem Erdgipfel 1992 in Rio, auf dem die Weltklima-Konvention verabschiedet wurde, deswegen nur folgerichtig, sich für den Sitz des Klimasekretariats der Vereinten Nationen (VN) zu bewerben. Auf dem Klimagipfel 1995 in Berlin, der von der damaligen Bundesumweltministerin und heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel geleitet wurde, erhielt Deutschland dann den Zuschlag. Seit 1996 arbeitet das inzwischen auf rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsene Sekretariat in der Bundesstadt Bonn. Im Laufe des Jahres 2012 soll es einen neuen Standort auf dem so genannten „VN-Campus“ beziehen, der am früheren Deutschen Bundestag entstanden ist.
Kyoto, Bali, Kopenhagen, Durban – das sind nur einige Stationen der alljährlich im Herbst stattfindenden Weltklimagipfel, die von dem Bonner Sekretariat aus mit vorbereitet wurden. Diese Megakonferenzen, zu denen mittlerweile bis zu 35 000 Teilnehmer anreisen, erzeugen in der Öffentlichkeit am meisten Interesse. Doch die Aufgaben der Bonner VN-Klimamitarbeiter sind noch weitaus vielfältiger. Sie müssen permanent den Informationsfluss zwischen den 194 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention sicherstellen, Daten zu den Treibhausgas-Emissionen sammeln und abrufbar machen und obendrein die komplexe Umsetzung des Kyoto-Protokolls überwachen. Leiterin des VN-Klimasekretariats ist seit 2010 die Costa Ricanerin Christiana Figueres. Für Figueres war die Berufung nach Bonn eine Rückkehr an den Rhein. Sie hatte ihre berufliche Karriere in den 1980er-Jahren an der Botschaft Costa Ricas in der damaligen Bundeshauptstadt begonnen.
B.A.U.M.
Adidas, Bosch und Siemens Hausgeräte, Deutsche Telekom, Rapunzel Naturkost, – was verbindet diese und weitere rund 600 Unternehmen miteinander? Sie alle sind Mitglied in Europas größter Umweltinitiative der Wirtschaft, namens B.A.U.M. Das freundliche Kürzel steht für „Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management“. Der 1984 in Hamburg gegründete Verein verknüpft ökonomische, ökologische und soziale Fragen und gibt seinen Mitgliedern Hilfestellungen in Fragen von Energieeinsparung, Klimaschutz und Ressourceneinsatz. Das B.A.U.M.-Projekt „Wirtschaft und Klima“ beispielsweise zeigt in einer Datenbank die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten zur CO2-Reduktion, die in den beteiligten Unternehmen umgesetzt wurden. Mit dem Wettbewerb „Die fahrradfreundlichsten Arbeitgeber“ versucht die Initiative das Fahrrad als „das im Nahbereich absolut klima- und umweltfreundlichste Verkehrsmittel“ zu etablieren.
Die positive Stimulanz der Initiative zeigt nicht zuletzt die Vielzahl der Auszeichnungen, die der B.A.U.M. zwischenzeitlich erhalten hat. Darunter sind die Anerkennung des Engagements durch die Aufnahme in die „Global 500 Roll of Honour“ der Vereinten Nationen und der Deutsche Umweltpreis; die B.A.U.M.-Kampagne „Solar – na klar!“ hat die EU-Kommission beeindruckt.
FRAUNHOFER ISE
Die Solarstrom-Erzeugung hat in Deutschland in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Einer der Auslöser dieses Aufschwungs war das im Jahr 2000 verabschiedete „Erneuerbare Energien Gesetz“ (EEG). Das andere Kapitel der Erfolgsgeschichte schrieben Wissenschaftler und Techniker der Hightech-Solarforschung – etwa im Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Das Institut in Freiburg forscht und arbeitet an Konzepten, die der Frage nachgehen, wie die Energiegewinnung aus der Sonne – allerdings nicht nur für Strom, sondern auch für Wärme und Klimatisierung – weiter verbilligt, besser in das Gesamtsystem integriert und optimal speicherfähig gemacht werden kann. Mit rund 1100 Mitarbeitern ist es das größte Solarforschungsinstitut in Europa. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Entwicklung höherer Wirkungsgrade für die üblichen Silizium-Solarzellen. Daneben beschäftigen alternative Photovoltaik-Technologien – etwa organische oder mit Farbstoff arbeitende Zellen – die Gemüter. Das Institut ist eingebettet in die „Fraunhofer-Allianz Energie“, in der 16 Fraunhofer-Institute Kompetenzen in Energietechnologien und -forschung bündeln. Ihr Ziel ist es, der Industrie und Energiewirtschaft Konzepte und Lösungen „aus einer Hand“ anzubieten. Dass das ISE nicht nur Gründungsmitglied ist, sondern die Geschäftsstelle der „Fraunhofer-Allianz Energie“ beherbergt – fast selbstverständlich.
ALPSTAR
„Macht die Alpen klimaneutral“ – so heißt das Programm der Initiative „Alpstar“, die 2006 von der Internationalen Alpenschutz-Kommission ins Leben gerufen wurde. In allen Alpenländern gibt es dafür „Pilotregionen“. Die gemeinsame Vision: „100 Prozent Energieversorgung aus der Region für die Region“. Erreicht werden soll das Ziel durch sparsamere Energienutzung und die Umstellung auf grüne Energiequellen. Best-practice-Beispiele für den Klimaschutz in den Alpen will Alpstar entwickeln, sammeln und auswerten. Deutschland ist mit Achental in Bayern dabei. Es liegt am Nordrand der Bayerischen Alpen zwischen München und dem österreichischen Salzburg: eine Natur- und Kulturlandschaft – mit Seen und Flüssen, Bergen, Wiesen und Weiden, Wäldern und Mooren. Um diese biologische Vielfalt sowie den Lebens- und Erholungsraum attraktiv zu erhalten, gründeten die Gemeinden des Achentals 1999 den Verein „Ökomodell Achental“. Neben der regionalen Energiewende – die „Energieautarkie“ soll bis 2020 erreicht werden – hat der Verein die Sicherung der kleinstrukturierten Landwirtschaft und die Förderung eines naturverträglichen Gewerbes und Tourismus zum Ziel.
Erster Meilenstein war 2007 die Errichtung des Biomassehofs Achental. Dort werden die in der Region gewonnenen Holzbrennstoffe für die Region aufbereitet und bereitgestellt. Die Folge: Inzwischen haben viele Privathaushalte sowie Hotels und öffentliche Gebäude ihre Heizung umgestellt.
LAMMSBRÄU
Der weithin gute Ruf des deutschen Biers rührt auch daher, dass es nach dem „deutschen Reinheitsgebot“ von 1516 gebraut werden muss. Das heißt: Nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser dürfen zur Herstellung benutzt werden. Der Gerstensaft aus dem Hause der 1628 gegründeten und seit 1800 im Familienbesitz befindlichen Brauerei Lammsbräu in Neumarkt/Oberpfalz indes ist ein ganz besonderer. Das Lammsbräu-Bier und alle anderen in dem Unternehmen produzierten Getränke werden komplett mit Zutaten aus ökologischem Landbau hergestellt. Die Umstellung begann Inhaber Franz Ehrnsperger in den 1980er-Jahren, nachdem er festgestellt hatte, dass die Bier-Rohstoffe durch vermehrt benutzten Kunstdünger und Pestizide qualitativ schlechter geworden waren. Ehrnsperger entwickelte ein durchgängig nachhaltiges Unternehmenskonzept – von der Rohstoffseite über die Produktion bis zur Abfüllung. Die Rohstoffe bezieht das Unternehmen alle aus der Region; 4000 Hektar Anbaufläche werden dafür ökologisch bewirtschaftet. Lammsbräu ist die Ökobrauerei mit dem weltweit größten Umsatz, das Bier wird regional, aber auch national in Bioläden vertrieben. In dem Unternehmen arbeiten mittlerweile rund 90 Mitarbeiter. Der garantierte Absatz in dem Öko-Unternehmen sichert zudem 100 Biobauern ein gutes Einkommen, das über dem sonstigen Durchschnitt in der Landwirtschaft liegt, da Lammsbräu höhere Preise für die Rohstoffe zahlt.
VDI-ZRE
Auto, Coladose, Pizzaschachtel, Papier für die Zeitung, Beton für den Straßenbau, Erdöl für die Heizung – die Materialströme, die in Gang gesetzt werden, um die Bedürfnisse der Menschen in den Industriestaaten zu befriedigen, sind horrend. Rund 75 Tonnen Ressourcen werden in Deutschland jährlich pro Kopf verbraucht, wenn man den kompletten Produkt-Lebensweg von der Rohstoffgewinnung, etwa dem Erzabbau, bis zur Mülldeponie einrechnet. Das ergaben Untersuchungen des Wuppertal-Instituts für Klima, Energie, Umwelt (WI). Allerdings zeigten die WI-Forscher auch, dass dieselben Dienstleistungen längerfristig auch mit nur einem Zehntel der Ressourcen erfüllt werden können („Faktor 10-Konzept“), also viel effizienter und damit umwelt- und klimaschonender. Die Ressourceneffizienz zu steigern, hat auch die Bundesregierung als wichtige Aufgabe in der Wirtschafts- und Umweltpolitik verankert und 2011 im „nationalen Ressourceneffizienzprogramm“ formuliert. Ressourceneffizienz stärkt Wettbewerbsfähigkeit, fördert Innovation, sichert Arbeitsplätze und entlastet die Umwelt. Gerade kleine und mittelgroße Unternehmen können Vorreiter dieser Entwicklung sein. Dazu müssen sie jedoch besser über die Möglichkeiten und Chancen der Rohstoffeinsparung informiert werden – eine Aufgabe, der sich das „Zentrum Ressourceneffizienz“ des Vereins der Deutschen Ingenieure (VDI-ZRE) in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium verschrieben hat.
Das Zentrum vermittelt Rat von Experten unterschiedlichster Richtungen; das Spektrum reicht von Maschinenbauern und Wirtschaftsingenieuren über Biologen und Forstwirte bis hin zu Verwaltungswissenschaftlern. Es informiert über Möglichkeiten, beispielsweise bei der Beleuchtung 90 Prozent der Stromkosten zu kappen, mit weniger Lackierung von Bauteilen auszukommen oder den Wirkungsgrad bei der Drucklufterzeugung zu verzwanzigfachen. Positives Fazit des VDI-RZE: „Die Umsetzung von Effizienzmaßnahmen kann in Unternehmen bereits relativ kurzfristig zu messbaren finanziellen Einsparungen führen.“ ▪