Ein deutsch-afrikanischer Visionär
Kurator, Publizist, Kulturvermittler, neuer Leiter des Hauses der Kulturen der Welt – wie Bonaventure Ndikung Deutschland verändert.
Er gilt als Lichtblick für das deutsch-afrikanische Verhältnis, als Mahner und Versöhner, als international bestens vernetzter Intellektueller. Tatsächlich hat Dr. Bonaventure Ndikung wie kaum ein anderer die Wahrnehmung afrikanischer Kunst in Deutschland geprägt. Ohne die Pionierarbeit des 1977 in Kamerun geborenen, heute in Berlin lebenden Kurators, Kunsthistorikers, Kulturvermittlers, Publizisten und Biotechnologen wären viele Diskussionen um die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika, den Umgang mit dem kulturellen Erbe und die Rückgabe der afrikanischen Kulturgüter wohl nicht geführt worden. Auch das Selbstbild der Deutschen hätte sich vor diesem Hintergrund kaum so entscheidend verändert.
Neuer Leiter des HKW ab 2023
Wer ist der Mann, der ab Januar 2023 als Intendant die Leitung des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) übernimmt? Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, so der volle Name, wurde in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, geboren. Er war schon als Jugendlicher kulturbegeistert, trat als Musiker auf und kam 1997 zum Studium nach Berlin. An der Technischen Universität wurde er im Bereich Biotechnologie zum Dr. rer. nat. promoviert.
Seine Leidenschaft galt immer der Kunst. Bald nach seiner Promotion begann er als Kurator, Berater und Autor zu arbeiten – unter anderem gemeinsam mit dem Goethe-Institut und dem ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) sowie anderen wichtigen Kulturinstitutionen. Mehrfach war er an der Biennale von Venedig beteiligt, unter anderem als Co-Kurator des Finnischen Pavillons 2019.
Gefeierter Kurator
2017 wurde Ndikung zum Curator-at-large bei der documenta 14 in Kassel und Athen ernannt. Er war für den afrikanischen Bereich zuständig und setzte in dieser insgesamt umstrittenen Schau einige Glanzpunkte. Außerdem war er Gastkurator bei der Biennale Dak’Art in Senegal und kuratierte die renommierte Fotobiennale von Bamako. Für vier Jahre wurde ihm 2020 die künstlerische Leitung des Kunstfestivals im holländischen Sonsbeek übertragen, wo er sich insbesondere mit den Folgen und der Aktualität der Geschichte der Sklaverei auseinandersetzt. Seit 2020 ist Bonaventure Ndikung Professor an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin. Im selben Jahr wurde ihm der Verdienstorden des Landes Berlin verliehen.
Dem 44-Jährigen geht es um ein grundsätzlich neues Verständnis Afrikas und des afrikanisch-europäischen Verhältnisses. „Offenbar gibt es eklatante Unterschiede bei den Menschenrechten im Westen und dem, wie man Menschen in anderen Teilen der Welt behandelt. Die aktuellste Form der globalen Asymmetrie ist die Verteilung der Impfstoffe. Man spricht jetzt von Vakzin-Apartheid.“ Solange sich derartige Ungleichheiten nicht änderten, habe das Wort Menschenrechte keinen Sinn, sagt Bonaventure Ndikung.
Zu Wort meldet er sich oft, wenn es um die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter geht. „Wir reparieren die Zukunft“, so definiert Ndikung selbstbewusst seine Mission in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Restitution heißt nicht nur, etwas zurückgeben. Sondern wir müssen an Reparatur denken, an Rehabilitation. Man muss sich die Wunden anschauen und versuchen, sie zu heilen – auch und ausgerechnet durch die Kunst.“
International beachtete Initiative
Politik und Kultur, Kunst und Aktivismus gehören für Ndikung zusammen. Weil er zu Beginn seiner Karriere in deutschen Museen zunächst keine Partner für eine Zusammenarbeit fand, gründete er 2009 als private Initiative in Berlin-Neukölln den Kunstraum Savvy Contemporary. Wer ihn besuchte, fand Eisenbahnmodelle aus der Zeit des deutschen Kolonialismus vor, persönlich gesammelte Bücher und Schriften, Artefakte, die damals von den Historikern der deutschen Mehrheitsgesellschaft keineswegs als relevant oder gar aktuell empfunden wurden. Afrika stand damals selten auf der Agenda deutscher Medien. Es ist auch ein Verdienst Bonaventure Ndikungs, dass sich das geändert hat. Das Savvy Contemporary Laboratory, inzwischen im Berliner Wedding angesiedelt, wird international beachtet. Zu Bonaventure Ndikungs Verdiensten gehört die Zusammenarbeit mit herausragenden afrikanischen Intellektuellen wie Achille Mbembe und Felwine Sarr. Dass heute intellektuelle Stimmen aus Afrika in Deutschland gehört werden, ist auch Ndikungs Pionierarbeit zu verdanken. Unter dem Titel Savvy art.contemporary.african gibt er eine Internet-Zeitschrift zur afrikanischen Gegenwartskunst heraus.
Viele sehen in dem Mann, der gern im Stil der westafrikanischen Sapeurs als eine Art Hipster mit immer neuen Spielarten von Hüten, Westen und Gewändern auftritt, einen Visionär, dem es vor allem um die Gestaltung einer diverseren Zukunft geht. Was Ndikung ab Januar 2023 als Intendant des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin genau zeigen wird, will er noch nicht sagen, doch die Marschrichtung ist klar: „Ich will, dass dies ein Haus der Kulturen der Welt für alle Menschen ist. Es geht darum, die Asymmetrien, die es in der Welt gibt, zu reparieren. Kunst spielt dabei eine wichtige Rolle.“