Arzt und Autor
Tuğsal Moğul hat einen besonderen Blick auf die Pandemie: als Mediziner, aber auch als erfolgreicher Theatermacher.
„In der Zeit der Pandemie ist mir einmal mehr klar geworden, wie wichtig mir mein Beruf als Arzt ist“, sagt Tuğsal Moğul. Seine Verantwortung als Mediziner stand zuletzt stark im Vordergrund. „Meine Kollegen und ich haben gemerkt, wie sehr wir auch aufeinander aufpassen müssen, damit wir gesund bleiben. Um all die Kranken in der Klinik versorgen zu können, sollte keiner von uns ausfallen.“ Moğul ist Anästhesist und Notarzt, er arbeitet in einem Krankenhaus in Münster. Wie für so viele andere Menschen ist die Corona-Krise auch für ihn eine Zeit, die den Blick auf wesentliche Fragen des Lebens lenkt. Es war aber für Moğul ebenso eine Zeit, in der er über künftige Bühnenarbeiten reflektieren konnte. Denn der 52-Jährige ist auch Theaterautor und Regisseur.
Sein Werdegang ist ungewöhnlich. Als 15-Jähriger stand der Sohn türkischer Gastarbeiter zum ersten Mal auf der Bühne. Er spielte einen Gefangenen in Friedrich Dürrenmatts Stück „Romulus der Große“. Von da an wuchs seine Faszination fürs Theater; es ließ ihn nicht mehr los. Die Tür in diese Welt hatte ihm eine Schulfreundin geöffnet. Sie nahm ihn mit zur freien Theatergruppe „Filou“ in der Kulturinitiative im westfälischen Beckum, die ihre Spielstätte im Stadttheater hatte.
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Das Zitat aus Goethes „Faust“ charakterisiert den 52-Jährigen gut. Doch anders als Doktor Faust ist Moğul nicht zerrissen, er hat beide „Seelen“ vereinen können. So lange er das „kräftemäßig“ hinbekommt, möchte er sowohl als Arzt wie auch als Theatermacher arbeiten. Noch ermögliche es ihm seine Teilzeitstelle in der Klinik, die Bühnenarbeit fortzusetzen.
Hin- und hergerissen, das war er aber mal, nämlich nach dem Abitur, als es um die Frage ging, was er studieren solle. Sollte er der Theaterleidenschaft oder dem Rat seiner Eltern folgen? Moğul entschied sich für den „vernünftigen“ Weg, für den in der türkischen Community angeseheneren Beruf, bewarb sich fürs Medizinstudium und bekam einen Studienplatz an der Universität Lübeck. Doch während des Studiums stellte er fest, dass ihm das Theater fehlte. Also bewarb er sich an der Schauspielschule in Hannover – und wurde aufgenommen. Wohlwollende Lehrende unterstützten ihn auf seinem Weg, sodass er Medizin an den Universitäten Lübeck, Hannover und Wien sowie Schauspiel an der hannoverschen Hochschule für Musik, Theater und Medien studieren konnte.
Eine seiner jüngsten Arbeiten, „Deutsche Ärzte, grenzenlos“, will als „Recherchestück“ auf der Bühne einen Eindruck vom Krankenhausalltag vermitteln, der schon vor der Pandemie kräftezehrend für alle war, für Chefärztinnen und -ärzte wie für Reinigungskräfte und die Mitarbeitenden in der Verwaltungsdirektion. Die für März 2020 am Theater Münster geplante Uraufführung musste aber abgesagt werden, weil Theaterpersonal positiv auf das Corona-Virus getestet wurde. Die Premiere soll jetzt möglichst noch im Frühjahr 2021 nachgeholt werden. Ein anderes Stück, „Wir haben getan, was wir konnten“, handelt von Leben und Tod im deutschen Gesundheitswesen und feierte im September 2020 Premiere im Hamburger Schauspielhaus. Mit der Inszenierung an dieser so renommierten Spielstätte ging für Moğul ein Traum in Erfüllung. Daher bedauert er den aktuellen Lockdown in Deutschland besonders, sagt aber auch: „So ist das Leben. Es ist nicht alles planbar und es läuft halt nicht immer so, wie wir es wollen.“ Immerhin musste die Premiere nicht abgesagt werden, auch wenn im Publikum nicht mehr als 30 Menschen sitzen durften. Das Stück kommt wieder in den Spielplan des Schauspielhauses.
Stipendiat in Istanbul
In seinen Arbeiten als Autor und Regisseur schlägt Moğul immer wieder die Brücke zu seinem anderen Beruf. So auch in „Deutsche Ärzte, grenzenlos“, das einen Fokus auf medizinisches Personal richtet, das aus dem Ausland zum Arbeiten nach Deutschland kommt. Für dieses Stück recherchierte er unter anderem 2018 und 2019 während seiner Aufenthalte in Istanbul als Stipendiat der Kulturakademie Tarabya. Dabei lernte er seine Freundin kennen, eine Ärztin aus Istanbul, die sich um eine Stelle in Deutschland beworben hatte.
Unlängst hat Moğul begonnen, für ein neues Projekt zu recherchieren. Die Ergebnisse sollen nicht in einem ganz neuen Theaterstück münden, sondern Teil eines anderen werden, das er vor drei Jahren erstmals auf die Bühne brachte: „Auch Deutsche unter den Opfern“, ein Stück über die Morde des rechtsradikalen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Nunmehr widmet Moğul sich dem Attentat in Hanau, bei dem im Februar 2020 ein 43-Jähriger aus rassistischen Motiven neun Menschen erschoss.
Wie in der Medizin orientiert sich Moğul auch im Theater an Fakten. Er erfindet nichts, sondern setzt seine Stücke zusammen aus dem, was er während seiner Recherchen zusammenträgt und von Interviewpartnern hört. Das hat trotz seines engagierten Einsatzes als Arzt zu einem umfangreichen künstlerischen Werk geführt. Tuğsal Moğul, der auch schon an Filmen mitwirkte, hat bereits rund 20 Stücke auf die Bühne gebracht.