In vielen Branchen erfolgreich
Unternehmerinnen und Unternehmer mit Wurzeln in der Türkei prägen mehr und mehr die deutsche Wirtschaft. Fünf Erfolgsgeschichten.
Schon seit Längerem setzen Unternehmerinnen und Unternehmer mit türkischem Familienhintergrund in Deutschland wichtige Akzente. Bereits 2016 stellte eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums fest, dass unter den Selbstständigen in Deutschland „mit Migrationshintergrund“ die Türkeistämmigen mit knapp 89.000 die zweitgrößte Gruppe bilden. Zahlreiche Firmenchefs und -chefinnen mit Wurzeln in der Türkei bringen die deutsche Wirtschaft mit innovativen Ideen voran. Ein Blick auf fünf Erfolgsgeschichten.
Aynur Boldaz-Özdemir: Expansion in die Türkei
Als 18-Jährige kam Aynur Boldaz-Özdemir 1987 mit ihrer Heirat nach Deutschland. Sie arbeitete zunächst in Berlin bei einer Reinigungsfirma als Putzkraft; im Jahr 2000 gründete sie mit staatlicher Unterstützung ihre eigene Firma Forever Clean. Der Unternehmerin war es wichtig, den Menschen eine Chance zu geben, die es auf dem Arbeitsmarkt oft besonders schwer haben: Migrantinnen und Menschen mit Behinderungen. So ist Forever Clean seit 2004 ein sogenanntes Integrationsunternehmen – also eines, das seine wirtschaftlichen Ziele mit der Integration von Menschen mit Behinderungen verbindet. 2009 expandierte Aynur Boldaz-Özdemir in die Türkei; dort führt ihre Schwester Asme Kal die Geschäfte an den Standorten Istanbul und Ankara. Forever Clean hat aktuell insgesamt 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Hälfte des Personals ist bereits länger als zehn Jahre in der Firma angestellt. Der Anteil der behinderten und schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Forever Clean liegt in Deutschland bei 40 Prozent.
Müfit Tarhan: Erfolgreich mit Biotech-Produkten
„Das Wichtigste für einen Unternehmer ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, die Perspektive zu wechseln und innovativ zu sein“, sagt Müfit Tarhan. Er weiß, wovon er spricht: Mit seinem langjährigen Geschäftspartner Aydoğan Cengiz wechselte er 1999 die Branche und übernahm das Biotech-Unternehmen Wesko. Vom erfolgreichem Reiseunternehmer wurde er zum Produzenten von unter anderem in Gartenbau und Agrarwirtschaft begehrten Bodenverbesserern. Wesko wurde 2001 zu Humintech umfirmiert, 2013 der Standort von Düsseldorf nach Grevenbroich verlegt. Von dort beliefert das mehrfach ausgezeichnete Unternehmen mehr als 70 Länder mit huminstoffbasierten Produkten. Der Chemie-Ingenieur Tarhan kam 1980 nach Deutschland, eigentlich, um zu promovieren. Er verwarf diese Idee aber schon bald. Einige Jahre arbeitete er in einem Kernkraftwerk, gründete 1986 mit Cengiz das Reiseunternehmen Nazar Holiday und acht Jahre später noch Holiday Express. Ende der 1990er-Jahre verkauften sie die Firmen und stiegen erfolgreich in die Biotechnologie ein.
Nare Yesilyurt: Neue Wege in der Pflege
Die Tochter anatolischer Arbeitsmigranten lebt seit 1971 in Deutschland. Nare Yesilyurt ist stolz darauf, dass sie es von der Hauptschule bis an die Universität schaffte und schon lange als Unternehmerin erfolgreich ist. Früh erkannte sie den hohen Bedarf an kultursensibler Pflege, die sich an den Bedürfnissen von Migranten ausrichtet, und wollte einen entsprechenden Pflegedienst aufbauen. Yesilyurts Pflegeteam nimmt Rücksicht auf spezielle Ess- und Hygienegewohnheiten sowie auf religiöse Orientierungen. „An meine Idee hat außer mir gar keiner geglaubt“, sagt sie rückblickend. Sie trotzte den Widerständen und gründete 1999 Deta-Med, einen kulturspezifischen Haus-Pflegedienst. Vier Jahre später eröffnete sie die erste kulturspezifische Tagespflege-Einrichtung und im Jahr 2019 ein ebensolches Hospiz. Ihr Weg als alleinerziehende zweifache Mutter sei steinig gewesen, auch wegen der Kinderbetreuung, berichtet sie. Was sie vor 22 Jahren mit ein paar Mitarbeiterinnen begann, baute sie zu einem familienfreundlichen Unternehmen mit 250 Angestellten und 30 Auszubildenden aus. 2019 gewann die Geschäftsfrau den Unternehmer-Wettbewerb des Berliner Senats „Vielfalt unternimmt“.
Ismet Koyun: Krisenfeste IT-Lösungen
Kobil: Der Firmenname ist ein Akronym, zusammengesetzt aus den ersten Silben von Ismet Koyuns Nachnamen und „bilgisayar“, dem türkischen Wort für Computer. Kobil zählt zu den Firmen, die in der Corona-Pandemie erfolgreich sind. Zwar hat das Unternehmen schon vor 2020 hohe Umsätze gemacht, doch seit dem Ausbruch der Pandemie sind nach Angaben des Firmeninhabers die Auftragssummen um ein Vielfaches gestiegen. Denn Kobil entwickelt und verkauft Sicherheitssoftware für Identitätsnachweise und Verschlüsselungen, die in der Corona-Krise und angesichts zunehmenden digitalen Austauschs besonders gefragt sind. Als 18-Jähriger kam Ismet Kobil 1978 mit „20 Mark in der Tasche“ zum Informatikstudium nach Worms. Dort blieb er auch nach dem Studium und gründete 1986 seine IT-Firma, die inzwischen mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigt und Koyun zum Millionär gemacht hat.
Rukiye Tunc: Logistik und vieles mehr
Rukiye Tunc sagt, wo’s lang geht: Im Familienunternehmen Tunc Trans, das sie gemeinsam mit ihren Eltern führt, in der von ihr gegründeten Firma Tunc Group und als europaweit erste Frau mit der Lizenz zur Ausbildung von Berufskraftfahrern. Letzteres ist auch ein Geschäftsbereich der Tunc Group, ebenso wie der Vertrieb von Beauty-Produkten und die Vermietung von Luxus-Bussen. Transport und Logistik sind die Geschäftsfelder des von Rukiye Tuncs Eltern gegründeten Unternehmens Tunc Trans. Was 1989 in Hainburg in der Nähe von Frankfurt am Main mit einem einzigen Sprinter begann, ist heute eine Firma mit rund 120 Transportern, die unter anderem Lebensmittel quer durch Europa befördern. Dabei belässt es Rukiye Tunc nicht beim Management: Die zweifache Mutter von Kindern im Teenageralter fährt auch selbst noch regelmäßig Touren.