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Eklektik Berlinistan mit DJ Ipek

İpek İpekçioğlu setzt sich für Vielfalt ein und legt als DJ Ipek international auf – was ein rotes Köfferchen und ein Tschador damit zu tun haben.

Daniel Bax, 15.10.2024
Virtuosin am Mischpult: DJ Ipek
Virtuosin am Mischpult: DJ Ipek © Sevim Kardelen

Die Berliner Musikerin İpek İpekçioğlu ist einer der ungewöhnlichsten Sterne am Berliner Nachthimmel. Als DJ Ipek hat sie sich einen Namen auf den Tanzflächen der Welt gemacht, ihr wilder Mix aus orientalischem Folklorepop und elektronischer Musik ist ihr Markenzeichen. Sie mischt türkische, arabische und albanische Hits mit kurdischen Disco-Volkstänzen, verbindet sie im Laufe einer Clubnacht zu Bauchtanzmusik und Balkan-Rhythmen oder flicht die psychedelischen Klänge des „Anadolu Rock“ aus den 1970er-Jahren ein. Ihre Bandbreite reicht von türkischem Tango und anatolischem Folk bis zu Breakbeats, House und Berliner Techno. Wenn man ihren Stil auf einen Begriff bringen wollte, könnte man es als „Ethno Elektro“ bezeichnen, sie selbst nennt ihn „Eklektik Berlinistan“. Die Süddeutsche Zeitung feierte sie dafür als „musikalische und politische Visionärin“.

In türkischen Chören sozialisiert

 İpek İpekçioğlu wurde 1972 in München geboren, wuchs in der Mittelmeer-Metropole Izmir in der Türkei auf und kam als Teenager nach Berlin. In türkischen Chören und Folkloregruppen wurde sie musikalisch sozialisiert, im transkulturell geprägten Grenzgebiet zwischen den beiden Berliner Einwandererbezirken Kreuzberg und Neukölln ist sie zu Hause. Als sie an Weihnachten 1994 als junge lesbische Frau, die gerade erst ihr Coming-out erlebt hatte, mit einem roten DJ-Köfferchen voller Kassetten und in einen schwarzen Tschador gehüllt, das erste Mal auf einer Party im Berliner Szeneclub SO36 ihre Lieblingsmusik auflegte, da wusste sie: Das ist ihr Ding. Damals besaß sie noch keine CDs und keine Platten, sondern spielte Kassetten ab. 

 Seitdem hat sich viel getan: Heute legt sie regelmäßig im SO36 auf, die queer-orientalischen „Gayhane“-Partys in Berlin-Kreuzberg sind seit über 25 Jahren ihr Stammquartier. Zunächst als Treffpunkt für türkeistämmige Lesben, Schwule und Transgender gedacht, die einen geschützten Raum suchten, um zu eigener Musik zu feiern, zog die Reihe rasch immer mehr Menschen jeglicher Herkunft und sexueller Orientierung an – in den letzten Jahren viele queere Geflüchtete aus Syrien, aber auch Expat-Berliner und Touristen. Die monatliche Partyreihe ist legendär: Am Ende liegen sich alle zusammen zu anatolischen Volkstanzrhythmen in den Armen. 

 International erfolgreiche Künstlerin

 DJ Ipek legt auch an anderen Orten in Berlin auf: im Maxim Gorki Theater, dem Radialsystem oder im Humboldt Forum. Darüber hinaus begleitet sie Künstlerinnen und Künstler auf deren Konzerten und hat eigene musikalische Veranstaltungsreihen kuratiert. Eine Zeit lang hatte sie eine eigene Radiosendung bei einem Lokalsender. Doch ihr Ruf ist längst über Deutschland hinaus gedrungen. Sie wird weltweit gebucht, von Amsterdam bis Istanbul, von Marokko bis Mexiko und von Spanien bis Schweden. Sie war schon Gast vieler renommierter Festivals, vom britischen Glastonbury über das Sziget-Festival in Budapest bis zum legendären „Fusion“ in Mecklenburg-Vorpommern. 

DJ Ipek unterwegs in Istanbul
DJ Ipek unterwegs in Istanbul © Melis Özdil

DJ Ipek ist sogar schon nach China und Mali gereist, um ihre musikalische Mischung vorzustellen. „Wenn Ipek auflegt, hören die Leute zu, tanzen, schreien und wollen mehr“, schwärmte das schwedische Magazin „Sylvia“. „Das gilt für Berlin genauso wie für Stockholm oder New York“. 

 Schon früh setzte sich die studierte Sozialpädagogin für queere Minderheiten ein, in Deutschland und der Türkei. Weltweit gibt sie inzwischen Workshops und ermutigt weibliche Künstlerinnen und Kulturschaffende, sich in der elektronischen Musikszene zu behaupten. Sie versteht sich in diesem Sinne als Queer-Aktivistin und ist damit für viele ein Vorbild. Das schwedische queer-Magazin „QX“ kürte sie einmal zum hippsten DJ Europas. 2024 wurde sie beim Berliner Christopher Street Day für ihr „aktivistisches Lebenswerk“ ausgezeichnet. 

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Zwei Compilations von DJ Ipek versammeln innovative, überwiegend türkisch geprägte Clubsounds: „Beyond Istanbul“ (2006) und „Import Export a la Turka“ (2008). In den vergangenen Jahren hat sie sich verstärkt als Musikproduzentin und Komponistin einen Namen gemacht, eine Handvoll Jingles und Filmmusiken geschrieben und eigene Tracks produziert. Mit dem Multiinstrumentalisten Ceyhun Kaya und der Folksängerin Petra Nachtmanova veröffentlichte sie 2023 ihr erstes Album, das den Titel „Karmatürji“ trägt. Darin greifen sie unter anderem traditionelle Gedichte von klassischen anatolischen Poeten wie Yunus Emre, aber auch andere Volksweisen auf und kleiden sie in neue, elektronische Gewänder. 

 In diesem Stil vertonte DJ Ipek zuletzt auch das anatolische Volkslied „Yuh Yuh“ des alevitischen Barden Aşık Mahzuni Şerif. „Wir wollen diese Lieder, die uns etwas bedeuten, der Welt bekannt machen, sie elektronisch interpretieren und damit auch Menschen zugänglich machen, die keine traditionelle türkische Musik hören“, hat Ipek İpekçioğlu in einem Interview einmal erklärt. „Wir haben uns gefragt: Wie würde dieses Lied in zeitgemäßer Fassung klingen? Wir wollten die Originalität und die Seele der Lieder beibehalten, aber sie in unsere heutigen musikalischen Sprachen übersetzen“. Das ist ihr gelungen.