„Literatur kann die Welt verändern“
Der Schriftsteller Helon Habila ist Curator in Residence des Internationalen Literaturfestivals Berlin. Hier spricht er über seine Verbindung zu Deutschland.
Helon Habila wurde 1967 in Nigeria geboren und besitzt heute die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Der Professor für Kreatives Schreiben an der George Mason University im US-Bundesstaat Virginia hat vier Romane veröffentlicht. Eine Jury hat den Schriftsteller zum Curator in Residence des Internationalen Literaturfestivals Berlin gewählt, das vom 5. bis 18. September 2024 stattfindet und für das Habila mehrere Veranstaltungen kuratiert hat.
Herr Habila, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfuhren, dass Sie zum Curator in Residence ernannt wurden?
Ich war ein bisschen überwältigt und auch nervös. Es ist das erste Mal, dass es beim Berliner Literaturfestival einen Curator in Residence gibt. Mit mir wurde jemand ausgewählt, der nicht aus Europa kommt. Das ist ein mutiger Schritt der Organisatorinnen und Organisatoren.
Sie waren schon einige Male Gast bei dem Literaturfestival.
Ich war immer schon beeindruckt von der Internationalität des Festivals, das Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt zusammenbringt. Aber ich wollte andere Stimmen einzubringen, die normalerweise nicht auf solchen Festivals sind und die nicht nur aus Europa stammen. Es gibt andere außerhalb dieses Kreises, die wichtige Arbeit leisten, talentiert sind und es verdienen, gehört zu werden. Also habe ich gesagt: Ich möchte diese jüngeren Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Afrika und Amerika, möchte People of Color fördern.
Gibt es Autorinnen und Autoren, auf die Sie sich besonders freuen?
Die frankoruandische Schriftstellerin Beata Umubyeyi Mairesse wird das Festival eröffnen. Aber da ist zum Beispiel auch V. V. Ganeshananthan, die mit „Brotherless Night“ ein wichtiges Buch über den Bürgerkrieg in Sri Lanka geschrieben hat. Sonia Faleiro mit ihrem Sachbuch „The Good Girls“ über die Ermordung zweier Mädchen in einem Dorf in Indien; oder Mary-Alice Daniel, die auf drei Kontinenten gelebt hat und über ihre Erfahrungen schreibt. Noo Saro-Wiwa mit ihrem Sachbuch über Afrikaner in China. Wir haben den Booker-Preisträger Ben Okri eingeladen. Und es wird ein Podium zu James Baldwin geben.
Das Festival hat ein Schwerpunktthema, das Sie mitentwickelt haben: „Strange New World“.
Wir stehen vor einer Umweltapokalypse, dem Aufstieg von Künstlicher Intelligenz, Kriegen, Leute wie Donald Trump sind auf dem Vormarsch, es gibt Covid-19. Wie geht die Literatur damit um? Wir haben auch ein Panel zu afrikanischem Futurismus mit Autorinnen, die spekulative Science-Fiction schreiben und dabei afrikanische Mythen verwenden, um sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Ich finde es nicht überraschend, dass es viele Bücher gibt, die fast schon prophetisch darüber sprechen, wie die Zukunft aussehen könnte. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Es ist eine seltsame neue Welt, in der wir leben.
Sie waren 2013/2014 als Fellow des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Deutschland und sind seither fast jedes Jahr hier. Wie denken Sie über das Land?
Während meiner Zeit als Artist-in-Residence war ich mit meiner Familie in Deutschland, wir haben viele Freunde dort. Doch ob in Deutschland, Europa oder Amerika – überall müssen die Menschen sich mit Veränderungen wie dem Aufstieg der extremen Rechten auseinandersetzen. Wir müssen das nicht akzeptieren, als Schriftsteller und Intellektuelle sollten wir nicht schweigen, wir müssen uns wehren und uns mit dem, was geschieht, beschäftigen. Mit meinem jüngsten, 2019 erschienenen Buch „Reisen“ über Migration, das in Berlin spielt, habe ich das versucht.
Hatten Sie die Idee für das Buch schon, bevor Sie nach Deutschland kamen?
Ich kam eigentlich mit einem anderen Buch, aber in Deutschland wurde ich mit dem konfrontiert, was man die Flüchtlingskrise nannte. Im Mittelmeer sanken Boote; ich war schockiert. Als Afrikaner hatte ich das Gefühl, dass ich Migranten interviewen muss, und dann kam mir die Idee für das Buch.
Weshalb sind Sie Schriftsteller?
Ich bin mit Volksmärchen aufgewachsen und liebe die Schönheit der Worte. Als ich älter wurde, erkannte ich: Literatur kann die Welt verändern. Ich komme aus einer afrikanischen Erzähltradition mit Autoren wie Chinua Achebe, die sich immer mit Politik auseinandergesetzt haben. Sie kämpften für die Unabhängigkeit und danach gegen korrupte Politiker. Als Schriftsteller aus einem ehemals kolonisierten Land muss man immer für die Menschen und gegen Ungerechtigkeit kämpfen.
Auf dem Literaturfestival werden Sie auch über Ihr neues, noch unveröffentlichtes Buch sprechen. Worum geht es?
Ein Nigerianer kommt nach Amerika, heiratet, bekommt ein Kind, geht zurück in seine Heimat und stirbt. Seine Tochter reist nach Nigeria, um ihn zu beerdigen. Dieses Buch ist wohl weniger politisch als meine anderen. Manchmal wird man der Politik überdrüssig, vielleicht liegt das an dieser seltsamen neuen Welt. Aber natürlich ist der Kontext eines Schwarzen Einwanderers in Zeiten von Donald Trump bereits politisch.
Reisen Sie noch oft nach Nigeria?
Ich lebe und arbeite seit 17 Jahren in Amerika, aber ich bin oft in Nigeria, viele meiner Bücher spielen dort. Auch wenn ich jetzt amerikanischer Staatsbürger bin, liegt mir das Land am Herzen. Wenn ich über amerikanische Politik schreibe, tue ich das als Afrikaner, der in Amerika lebt. Meine Sicht auf die Welt ist geprägt von meiner Rolle als Schwarzer Mann, meine Perspektive wird immer die eines Nigerianers sein.