Erinnerung an Jack Kagan
Jugendliche aus Belarus, Russland und Deutschland haben gemeinsam einen Animationsfilm zum Holocaust produziert.
Jack Kagan ist der Held im Animationsfilm „Zweihundert Schritte zum Leben“ – ein wahrer Held. Der jüdische Junge kam 1941 während des Zweiten Weltkriegs mit zwölf Jahren ins NS-Arbeitslager Nowogródek im Gebiet des heutigen Belarus. Er verlor dort aufgrund der Kälte alle Zehen, floh mit 14 Jahren mit weiteren Gefangenen durch einen über 200 Meter langen, heimlich gegrabenen Tunnel und schloss sich den Bielski-Partisanen an, der größten jüdischen Partisanenorganisation gegen die Nazis in Europa. Er überlebte, ging nach England, gründete eine Familie und starb 2016 in London.
Mit Kagans Biografie beschäftigten sich von Sommer 2022 an in einem internationalen Kultur- und Bildungsprojekt 14 Jugendliche und junge Erwachsene aus Belarus, Russland und Deutschland. Gemeinsam tauchten sie in die historischen Hintergründe ein, informierten sich über den Holocaust und produzierten unter professioneller Anleitung einen Animationsfilm. Sie schrieben das Drehbuch, bastelten Figuren aus Papier, zeichneten Hintergründe, komponierten Musik und gaben den animierten Charakteren ihre Stimmen.
Dabei wurden die Aufgaben auf die teilnehmenden Gruppen aus Belarus, Russland und Deutschland verteilt. Im ständigen virtuellen Austausch wurden alle Ergebnisse diskutiert. Während die russischsprachigen Jugendlichen beispielsweise das Drehbuch schrieben, komponierte der 19-jährige Berliner Joah Thümann den Soundtrack. Er verarbeitete dafür Teile aus einem jüdischen Volkslied – brachte also ein historisches Wissen ein, das sich die zwölfjährige Nadeschda Aniskowitsch aus Minsk im Projekt aneignete. „Was ich gelernt habe, bedeutet mir sehr viel“, betonte die Schülerin bei der Premiere des Films am 8. Dezember in der Minsker Hauptsynagoge in Anwesenheit des Ständigen Vertreters des Leiters der Deutschen Botschaft, Michael Novak. Die Veranstaltung wurde zudem online live übertragen.
„Animation ist eine universelle Sprache und verbindet Menschen“, sagt Anna Leonenko, Projektleiterin in Deutschland. „In Russland und Belarus ist Animation zudem ein wichtiger Teil der Kultur und hat Eingang in die Schulbildung gefunden. Das haben wir genutzt, um Jugendliche für die Geschichte des Holocaust zu sensibilisieren.“ Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts organisierte Leonenko das Projekt mit den Nichtregierungsorganisationen „KuBiPro“ in Berlin und „Dialog“ in Minsk sowie der Schule für Kinderanimation „Enfis“ in Minsk und dem ANO Ressourcenzentrum für soziale Initiativen in Moskau. Dessen Gründerin und Leiterin Olga Dunaewskaja sagt: „Die Teamarbeit war erstklassig, wir haben den gesamten Prozess so aufgebaut, dass weder Sprache noch virtuelle Kommunikation zu einer Barriere wurden.“ Auch wurde der Film bereits ausgezeichnet und im Rahmen des 7. Internationalen Online-Kinderfilmfestivals „Kinoscha“ gleich mehrfach prämiert, unter anderem mit dem Hauptpreis als „Bestes internationales Projekt“.
Erinnerung weitergeben
Die Jugendlichen lernten sogar den Sohn ihres Helden kennen und konnten sich mit ihm austauschen. „Mein Vater wäre glücklich gewesen über dieses Projekt“, betont Michael Kagan. „Er hat sich immer dafür engagiert, seine Geschichte jungen Menschen weiterzuerzählen.“ Ein besonderes Highlight war auch die finale Produktionsphase des Films in Minsk. Dafür reiste die Gruppe aus Russland an, die deutsche Gruppe wurde virtuell zugeschaltet. Anna Leonenko betont: „Dem sehr anrührenden fertigen Film wünschen wir nun von ganzem Herzen viel Aufmerksamkeit.“ Auch für die Familien der teilnehmenden Jugendlichen war das Projekt wertvoll und inspirierend. „Die Eltern haben ihre Kinder intensiv begleitet, waren emotional involviert. Auf diese Weise wird das Wissen von einem zum anderen weitergetragen.“