Comeback der Lyrik
Die Poesie galt lange als Randsparte des deutschen Literaturbetriebes - jetzt stehen Gedichte wieder hoch im Kurs bei Lesern und Kritikern.
Für den renommierten Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist Thomas Kunst „einer der größten Dichter Deutschlands“. Seit drei Jahrzehnten schreibt Kunst Gedichte, die von der Kritik gefeiert werden. Trotzdem kann er von seiner Arbeit als Lyriker nicht leben. Denn die Poesie fristete in Deutschland lange ein Schattendasein. Auf eine ähnliche Breitenwirkung wie mancher Romanautor konnten selbst die erfolgreichsten Lyriker nicht hoffen. Das ändert sich offenbar – Dichter scheinen im literarischen Leben an Bedeutung zu gewinnen.
Plötzlich Preisträger
Ein Zeichen dafür ist ihr häufig erfolgreiches Abschneiden bei der Vergabe wichtiger Literaturpreise. 2015 wurde zum ersten Mal ein Gedichtband mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet: die „Regentonnenvariationen“ von Jan Wagner. 2016 kam Marion Poschmann mit „Geliehene Landschaften“ in Leipzig zumindest in die engere Wahl. Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2015 ging an die Lyrikerin Nora Gomringer. Und den Georg-Büchner-Preis 2016 bekommt Marcel Beyer, der Romane, Essays und Gedichte schreibt. Sein 2014 erschienenes Werk „Graphit“ etwa ist eine über zwölf Jahre gewachsene Gedichtsammlung. Der mit 50.000 Euro dotierte Büchner-Preis gilt als eine der begehrtesten literarischen Auszeichnungen in Deutschland. In der Begründung der Jury heißt es, Beyer beherrsche „das epische Panorama ebenso wie die poetische Mikroskopie“.
Auch weitere Schriftsteller rücken mit ihren Gedichten ins Zentrum des literarischen Interesses, so etwa Nora Bossong oder Lutz Seiler. Was auch daran liegt, dass die Publikumsverlage ihre Lyriksparten ausbauen. Mit Judith Holofernes, Sängerin der Band „Wir sind Helden“, hat sogar eine populäre deutsche Musikern vorübergehend ins poetische Fach gewechselt: Holofernes‘ erstes Buch „Du bellst vor dem falschen Baum“, erschienen 2015, ist ein Band mit Tiergedichten.