Von der Freiheit des Wortes
Deutschlands Gastlandauftritt setzt sich für den offenen Dialog ein.
Auf dem blauen Teppichboden liegt ein Mädchen mit verschränkten Armen und Beinen. Rechts und links von ihr sind Buchstaben und um diese Bücher in Blütenform angeordnet – auf der einen Seite steht das deutsche Wort „Blume“ und auf der anderen Seite das türkische Pendant „Çicek“. „Nicht bewegen“, ruft eine Stimme aus dem Hintergrund dem Mädchen zu. Dann klickt die etwa drei Meter über dem Boden installierte Kamera. Auf dem Computerbildschirm sieht sich das Mädchen die Aufnahme an. Sie freut sich, weil es so aussieht, als schwebte sie im Himmel.
Ausgedacht hat sich diese Mitmachaktion der Fotoillustrator Jan von Holleben. Sie ist Teil des deutschen Gastlandauftritts auf der Internationalen Istanbuler Buchmesse. Es gibt ein weiteres interaktives Angebot am deutschen Stand: Sätze auf Postkarten vervollständigen. Der Philosoph und Autor Wilhelm Schmid stellt hier die Frage „Was ist Glück?“; der Schriftsteller Ilija Trojanow lieferte die Vorlage „Wenn ich küsste, vergaß ich, dass...“. „Die interaktiven Angebote locken unglaublich viele Leute an unseren Stand“, berichtet Bärbel Becker, Leiterin der internationalen Projekte bei der Frankfurter Buchmesse.
Deutschland präsentiert sich unter dem Motto „Worte bewegen“ mit einem vielfältigen Programm. Das Auswärtige Amt, die Frankfurter Buchmesse und das Goethe-Institut Istanbul gestalten den Gastlandauftritt Deutschlands in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA. An vier Tagen finden rund 35 Veranstaltungen statt – Lesungen, Autorengespräche und Podiumsdiskussionen. So beschäftigte sich am Sonntag ein Panel mit der Presse- und Meinungsfreiheit. Unter dem Titel „Für das Wort und die Freiheit“ diskutierten Ilija Trojanow, Peter Kraus vom Cleff, Geschäftsführer des Rowohlt Verlags, und Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, mit türkischen Teilnehmern wie dem Autor und Menschenrechtsanwalt Burhan Sönmez. Aus Sicht des kurdischen Intellektuellen hat sich an der Situation in der Türkei zuletzt gar nicht so viel geändert: Repressalien und Druck auf Oppositionelle gehörten zur Geschichte seines Landes. Das bedeute für ihn aber nicht, sich in die innere Migration zurückzuziehen, sondern Widerstand zu leisten. Eben dieser Widerstand sei sein Lebenselixier, erklärte der 51-Jährige.
Die aktuelle türkische Politik ist immer wieder Thema der Gespräche – sei es auf der Bühne des deutschen Messestands oder auch bei Zusammenkünften jenseits des offiziellen Programms. Wie soll man sich verhalten in dieser angespannten Zeit, in der fast jeden Tag Menschen inhaftiert und Freiheiten eingeschränkt werden? Um diese Frage kreisen die Diskussionen. Oppositionelle Autoren und Künstler versuchen der bedrückenden Atmosphäre und den Repressalien in ihrem Land etwas Positives abzugewinnen: Das wird deutlich während des Podiumsgesprächs zwischen dem Schriftsteller und Dramatiker Moritz Rinke und den Schauspielern Meltem Cumbul und Mert Firat. Der Theaterkritiker Sercan Gidişoğlu, der das Gespräch moderiert, bringt es mit dem ironisch gemeinten Satz auf den Punkt: „Repressalien regen die Kreativität an.“
Bei der offiziellen Eröffnung des deutschen Standes sprachen der stellvertretende türkische Kulturminister Hüseyin Yayman und Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Sie ging auf die Kritik ein, dass sich Deutschland an der Buchmesse beteiligt und erklärte: „Wir wollen unsere Rolle als Gastland nutzen und uns angesichts der aktuellen Situation in der Türkei gerade jetzt verstärkt für die Freiheit des Wortes einsetzen.“ Dafür demonstrierten am Montagnachmittag deutsche und türkische Autoren in Begleitung von Vertretern der deutschen Buchbranche wie Alexander Skipis vom Börsenverein. Sie hielten vor dem Frauengefängnis Bakırköy in Istanbul eine Mahnwache für die Autorin Aslı Erdoğan, die im August festgenommen wurde. Die Staatsanwaltschaft fordert für die international angesehene Schriftstellerin lebenslange Haft wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“.
Große Resonanz
Auf einer Fläche von 270 Quadratmetern stellen deutsche Verlage auf der Buchmesse vom 12. bis 15. November 350 Neuerscheinungen und ältere Titel aus. Präsentiert werden unter anderem die Longlist des Deutschen Buchpreises 2016, aktuelle Kinder- und Jugendbücher, eine Zusammenstellung deutscher Übersetzungen ins Türkische, deutsche Bücher über die Türkei sowie eine Kollektion zur Freiheit des Wortes. „Vor allem an Büchern über die Türkei – und damit auch für den Blick von außen – stellen wir ein großes Interesse fest“, berichtet Bärbel Becker. Sie ist „sehr zufrieden“ mit der Resonanz auf das Programm des deutschen Gemeinschaftsstandes. Bis Montag hätten an den Gesprächen am Bühnenstand rund 2.000 Zuhörer teilgenommen. „Und das, obwohl er am Rand der Haupthalle lag und wir keine Bücher verkaufen“, sagt sie. Die ausgestellten Bücher werden nicht wieder nach Deutschland mitgenommen, sondern nach dem letzten Messetag verschenkt.