Herr Scheeren, was ist Ihre Philosophie?
Ein Interview mit dem in China lebenden deutschen Stararchitekten Ole Scheeren.

Herr Scheeren, Sie haben einmal gesagt, China habe Sie grundlegend verändert? In welcher Hinsicht?
Vor über 22 Jahre bin ich mit einem Rucksack durch China gereist. In vielen der Orte, an die ich kam, hatten die Menschen noch nie einen Ausländer gesehen. Ich wurde mitgerissen und herausgefordert, ständig an meine Grenzen gebracht. Das war schon eine schockierende Konfrontation. Ich habe gelernt, dass die Normen, Konventionen und Gewissheiten des Westens nur begrenzt stimmten, manchmal einfach falsch waren.
Nun leben Sie seit zehn Jahren in China. Wie ist Ihr heutiges Verhältnis zu China und Ihrem Heimatland Deutschland?
Wenn man so lange in China lebt, geht das einher mit einer gewissen Verpflichtung dem Kontext gegenüber. Ich bin hier nicht nur für ein bestimmtes Projekt oder eine gewisse Zeitspanne hergegangen, sondern ich habe meinen Lebensmittelpunkt und mein Büro in China. Gleichzeitig spüre ich bei mir auch wieder ein größeres Interesse an Europa und Deutschland. Ich glaube, es wäre an der Zeit, gerade der Architektur in Deutschland wieder etwas mehr Mut zu geben.
Seit 2010 sind Sie selbständig und betreiben Ihr Architekturbüro von China aus. An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Drei Baustellen sind bereits in einem fortgeschrittenen Stadium: der 314-Meter-Turm MahaNakhon in Bangkok, das große Mischnutzungsprojekt Duo in Singapur und die Headquarters für Chinas ältestes Kunstaktionshaus in Peking. Ein Turm in Kuala Lumpur wartet auf den Baubeginn und wir arbeiten an Projekten in Shenzhen.
Mit dem fast „unbaubaren“ CCTV Headquarter in Peking haben Sie sich ein „Denkmal“ gesetzt und gelten seitdem als „Herr der Türme“. Zuletzt aber haben Sie bei dem Interlace in Singapur „Hochhäuser flachgelegt“. Welcher Philosophie folgen Sie?
Unsere Gebäude in Asien sind sehr kontextspezifisch und stellen den Kontext gleichzeitig in Frage. Diese Balance, innerhalb eines Kontextes neue Typologien und Prototypen zu entwickeln, interessiert mich. Bei dem Projekt The Interlace, das Sie ansprechen, war die Idee, eine vertikale Dorfstruktur zu schaffen. Gerade in den Metropolen Asiens dominiert die Typologie des Hochhauses, des Turmes, alles. So entsteht eine Sammlung an Einzelgebäuden, in denen mehr und mehr das Gefühl des Zusammenseins, des Stadt- und Gemeinschaftsraumes verloren geht. Für uns ging es um die Frage, wie wir den Lebensraum der Menschen sowohl im individuellen als auch kommunalen Sinn neu definieren und daraus eine Gebäudestruktur entwickeln können.
Auch ein Open-Air-Kino auf dem Meer in Thailand stammt aus Ihrer Feder. War das eine Fingerübung, eine Spielerei? Oder gibt es etwas, was Sie außer Hochhäusern gerne mal realisieren würden?
Es geht nicht um Größe oder Höhe. Der Kontext, in dem wir in Asien arbeiten, erfordert dennoch meistens genau das. Aber wir arbeiten auch an einem Atelier für einen chinesischen Künstler in Peking. Da geht es um etwas ganz anderes als Größe, es ist die Entwicklung eines sehr persönlichen Lebens- und Arbeitsraums für eine Person.
Ihr Vater ist Architekt. Und es heißt, Sie hätten schon mit 14 Jahren in seinem Büro mitgearbeitet. Was hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Mein Vater war Professor in Wiesbaden. Mein Weg hat letzlich sehr wenig mit seiner Arbeit als Architekt gemeinsam. Aber natürlich hat er mir sehr viel beigebracht. Vor allem aber war er unglaublich großzügig, er hat mich nicht an seine Realität und Welt festgebunden.
Sie waren lange Jahre Partner des niederländischen Star-Architekten Rem Koolhaas. Gibt es so etwas wie Vorbilder für Sie? Oder: Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?
Mich inspiriert vor allem das Leben in vielen Ländern, das Reisen, die Dinge, die ich sehe und die Menschen, die ich treffe, meine Arbeit an sich, und die Analyse der vielen Kulturen, in denen wir arbeiten.
Letzte Frage: Wie wohnen Sie selbst?
Ich wohne im Grunde konträr zu dem, was ich baue – in einem sehr gewöhnlichen Wohnturm. ▪
Interview: Martin Orth
Zur Person
Ole Scheeren, 1971 in Karlsuhe geboren, studierte an der TU Karlsruhe, der École Polytechnique Lausanne und an der Architectural Association School of Architecture (AA) in London. Bereits als Zwanzigjähriger reiste er mit dem Rucksack durch das ländliche China und teilte das Leben mit Einheimischen in einfachen Verhältnissen. 1995 ging Scheeren zu Rem Koolhaas‘ Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam, wurde 2002 Partner und als Direktor des Büros verantwortlich für das gesamte Asiengeschäft. Mit dem „unbaubaren“ Neubau des Chinesischen Staatsfernsehens in Peking wurde er zum „Herr der Türme“. 2010 machte er sich selbständig. Das Büro Ole Scheeren mit Niederlassungen in Peking und Hongkong baut überwiegend in Asien. Bevor er baut, streift Ole Scheeren gerne als Fußgänger durch die Städte, um sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut zu machen.