Kunst im öffentlichen Raum: „Menschen in Dialog bringen“
Die Skulpturen des deutschen Künstlerkollektivs „Inges Idee“ kommen in Asien gut an. Im Interview erklärt Georg Zey, warum die Kunst so gut nach Asien passt.
Die Skulpturen von „Inges Idee“ sind oft knallig bunt und erinnern an überdimensioniertes, irgendwo liegengebliebenes Spielzeug: Ein kleines blaues Boot, ein Schneemann, ein Hund aus Schraubenschlüsseln. Doch die Kunst erweckt auch Gegenstände zum Leben und empfindet Freude daran, sie in einen anderen Kontext zu stellen. So tanzt bei „Inges Idee“ ein Strommast („Zauberlehrling“), oder er sitzt scheinbar auf einer Bank und ruht sich aus („Freizeit/Muße“). Aus einer Pegellatte formt sich ein schlangenartiges Tier („Vorausschauende Maßnahme), aus Antennen ein Reh („Auf Empfang“), aus dem Belag einer Straße ein Hase („Rabbit). Georg Zey ist Künstler im Kollektiv „Inges Idee“. Im Interview spricht er über seine Begeisterung dafür, Menschen in Dialog zu bringen, das Arbeiten in der Gruppe und die Beliebtheit von Kunst im öffentlichen Raum in Asien.
Herr Zey, das Künstlerkollektiv „Inges Idee“ gehört in Japan, Südkorea, Taiwan und Singapur zu den gefragten Kunstschaffenden. Woran liegt es, dass Ihre Arbeit in Asien so gut ankommt?
Georg Zey: Unsere ersten Projekte für Asien haben wir in Japan realisiert, die erste Arbeit in Tokyo. Die Art und Weise, wie in Asien mit kleinen, spielzeughaften, pop-artigen Dingen umgegangen wird, unterscheidet sich von der in Europa oder in den USA. Die Aneignung und Wertschätzung von kleinen Figuren und Charakteren hat einen ganz anderen Stellenwert. Das hat mit unserer Kunst gut zusammengepasst.
Wie kam es zu dieser ersten Arbeit in Japan?
Zur Wende-Zeit, 1989/1990, wurden Berliner Künstlern, die sich aus Ost und West zusammengefunden hatten, Gruppenausstellungen in verschiedenen Ländern ermöglicht. Wir sind vier Künstler bei Inges Idee: Hans Hemmert, Thomas A. Schmidt und ich hatten uns an der damaligen Hochschule der Künste, heute Universität der Künste, in Berlin kennengelernt, Axel Lieber kam aus Düsseldorf dazu. Hans Hemmert und ich hatten bereits Kontakte zu Kuratoren in Japan. Irgendwann wurden wir von einer Agentur für einen ersten Auftrag angefragt. Und dann für einen zweiten, einen dritten und einen vierten.
Wie war dieser erste Ausflug nach Japan? Sprang der Funke auch in die andere Richtung über?
Ich fand und finde Japan faszinierend – diese urbane Ästhetik, wie das soziale Leben funktioniert, das sagenhaft gute Essen, der Reiswein, ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Einige Besonderheiten gibt es auch in anderen asiatischen Ländern, beispielsweise wie die Menschen auf engem Raum zusammenleben und sich bewegen. Hier ist der Verkehr in Taiwan für mich eindrücklich: fünf Autos nebeneinander auf zwei Spuren, aber irgendwann darf jeder fahren. Ich empfinde Taiwan als offen und demokratisch, die Gastfreundschaft ist groß. Viele unserer Kunstobjekte, die später in Deutschland aufgebaut wurden, haben wir übrigens dort fertigen lassen. Ein tolles Land!
Worin liegt für Sie der Reiz an Kunst im öffentlichen Raum?
Kunst im öffentlichen Raum trifft einen, sie begegnet einem und sie adressiert einen Ort. Sie kann den gegebenen Kontext verschieben und einen Ort damit interessanter und reicher machen. Es freut mich, wenn Menschen unsere Arbeit lieben und eine Verbindung zu ihr herstellen. Für mich ist der Dialog interessant: Wenn Menschen über unsere Kunst ins Gespräch kommen, dann funktioniert es für mich.
Wie finden Ort und Kunstwerk zusammen?
Je nach Land ist Kunst im öffentlichen Raum Teil der Baukultur und wird über den demokratischen Prozess des Wettbewerbs ausgewählt, vergleichbar etwa mit Architekturausschreibungen. Inzwischen muss man sich in Deutschland in den allermeisten Fällen bereits auf eine Teilnahme am Wettbewerb bewerben. In vielen asiatischen Ländern ist das anders – in Korea beispielsweise suchen darauf spezialisierte Agenturen drei bis vier Künstler aus, die sie dann den Auftraggebern vorschlagen. Wir sind in diesen Ländern schon relativ bekannt und werden immer mal wieder vorgeschlagen. In manchen asiatischen Ländern ist gesetzlich geregelt, dass Kunst im öffentlichen Raum stattfinden muss. Dementsprechend gibt es da einen großen Markt und beispielsweise in Korea ein hohes Maß an Kunstfertigkeiten in der Produktion und einen ganz anderen Umgang mit skulpturalen Objekten. Es gibt dort Techniken, die gibt es in Europa nicht.
Welche sind das?
Beispielsweise Schmiedetechniken, die gibt es sonst nirgendwo in dieser Qualität. Mit einem Laser werden aus zweidimensionalen Materialien ähnlich eines Schnittbogens zu einem Kleidungsstück Teile ausgeschnitten und dann zu 3-D-Skulpturen zurechtgeformt. Da gibt es Fabriken, die nur Kunst machen! Das ist schon etwas Besonderes. Unsere Objekte, die in Asien stehen, sind auch alle in Asien gefertigt. Normalerweise begleiten wir den Produktionsprozess vor Ort – aber während der Coronapandemie konnten wir das nicht. Im vergangenen Jahr sind wir dann nach Korea geflogen und haben uns vieles angeschaut. Glücklicherweise hat unsere Kunst eine Lebensdauer von etwa 20 Jahren.
Wie bereiten Sie sich auf so einen Auswahlprozess vor?
Wir sind seit 30 Jahren in diesem Nebenbereich der bildenden Kunst unterwegs und haben an rund 500 Wettbewerben teilgenommen. Da gibt es ein riesengroßes Portfolio, vergleichbar mit einem Besteckkasten, aus dem wir uns bedienen können. Wir vier bei Inges Idee sind ein bisschen wie alte Tanten, die sich und die Marotten der anderen gut kennen. Inzwischen haben wir ein relativ straffes und zielgerichtetes Arbeiten entwickelt, weil wir oft schnell agieren müssen. Das Arbeiten in der Gruppe hat große Vorteile: Wenn man Kunst im öffentlichen Raum macht, ist es schön, wenn man selbst schon einmal eine kleine Öffentlichkeit ist. Da gibt es schon eine große Oberfläche des Austauschs.
Gibt es Themen, die in Ihrer Arbeit immer wieder vorkommen?
Wir setzen uns bei unseren Objekten spezifisch mit dem Ort auseinander. So haben wir für unsere Arbeit „Lets Go!“ im Stadion von Kaohsiung in Taiwan beispielsweise einen basketballfarbenen Hybrid aus riesigem Sportschuh, Auto und Ball entworfen. Er kann als außergewöhnlicher Mannschaftsbus für ein Sportteam wahrgenommen werden oder auch als ein aus dem Innenraum des Stadions herausgeschleudertes abstraktes Etwas. Form, Material und Farbe verschränken den Austragungsort im Inneren mit dem Vorplatz des Stadions. Mit dieser Kontextverschiebung öffnen wir den Blick auf andere Wirklichkeitsaspekte und aktivieren den Ort zusätzlich.
Ansonsten arbeiten wir häufig mit einem „Oben-unten“, mit zweigeteilten Skulpturen, die unterschiedliche Architekturebenen verbinden und neu erlebbar machen. Für die Universitätsklinik in Seoul haben wir beispielsweise eine Schneefraumama erdacht, die sich über ein Geländer zu ihrem Schneemannkind hinunterbeugt, das auf einer Treppe steht und zu ihr hinaufsieht. Das passt gut zum emotionalen Kontext eines Krankenhauses.
Sie arbeiten immer wieder in den gleichen Ländern. Was schätzen Sie an Asien?
Die Menschen zeigen großes Engagement, Projekte zu realisieren, die Arbeitsverhältnisse sind freundschaftlich. Das gefällt mir.
Georg Zey gründete 1992 zusammen mit Hans Hemmert, Axel Lieber und Thomas A. Schmidt das künstlerische Kollektiv „Inges Idee“, das skulpturale Kunst im öffentlichen Raum entwirft. Zey, geboren 1962 in Limburg an der Lahn, studierte Bildhauerei an der Gesamthochschule Kassel und der Hochschule der Künste (heute Universität der Künste) Berlin. 2004 bis 2005 leitete er den Masterstudiengang „Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien“ an der Bauhaus-Universität Weimar, von 2010 bis 2011 hatte er dort eine Gastprofessur inne. In seiner eigenen künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich mit unterschiedlichen Materialien wie Stahl, Aluminium, Keramik oder Silikon und entwickelt daraus Strukturen und abstrakte Imaginationen realer Objekte.