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Deutsche Kunst auf Shanghais Straßen

Niedlich, bunt und verbindend: Warum die Skulpturen des deutschen Künstlerkollektivs „Inges Idee“ in China so gut ankommen. 

Sarah KanningSarah Kanning , 27.06.2024
Die Skulptur „YOYO“ auf der Dachkante einer Mall in Zhangjiagang, China
Die Skulptur „YOYO“ auf der Dachkante einer Mall in Zhangjiagang, China © ToMaster/Inges Idee

Die Skulpturen von „Inges Idee“ sind oft knallig bunt und erinnern an überdimensioniertes, irgendwo liegengebliebenes Spielzeug: Ein kleines blaues Boot, ein Schneemann, ein Hund aus Schraubenschlüsseln. Doch die Kunst erweckt auch Gegenstände zum Leben und empfindet Freude daran, sie in einen anderen Kontext zu stellen. So tanzt bei „Inges Idee“ ein Strommast („Zauberlehrling“), oder er sitzt scheinbar auf einer Bank und ruht sich aus („Freizeit/Muße“). Aus einer Pegellatte formt sich ein schlangenartiges Tier („Vorausschauende Maßnahme), aus Antennen ein Reh („Auf Empfang“), aus dem Belag einer Straße ein Hase („Rabbit). Georg Zey ist Künstler im Kollektiv „Inges Idee“. Im Interview spricht er über seine Begeisterung, Menschen in Dialog zu bringen, das Arbeiten in der Gruppe und die Beliebtheit von Kunst im öffentlichen Raum in China. 

Herr Zey, die Arbeiten von „Inges Idee“ sind in China hochgeschätzt. Woran liegt es, dass Ihre Kunst so gut ankommt? 

Die Art und Weise, wie in Asien mit kleinen, spielzeughaften, pop-artigen Dingen umgegangen wird, unterscheidet sich von der in Europa oder in den USA. Die Aneignung und Wertschätzung von kleinen Figuren und Charakteren hat einen ganz anderen Stellenwert. Das hat mit unserer Kunst gut zusammengepasst. 

Wie kam es zu Ihren ersten Arbeiten in Asien? 

Zur Zeit des Mauerfalls in Berlin und der deutschen Wiedervereinigung 1989 und 1990 wurden Berliner Künstlern, die sich aus Ost und West zusammengefunden hatten, Gruppenausstellungen in unterschiedlichen Ländern ermöglicht. Wir sind vier Künstler bei Inges Idee, drei hatten sich an der heutigen Universität der Künste in Berlin kennengelernt, einer kam aus Düsseldorf dazu. Ein Künstler aus der Gruppe und ich hatten bereits Kontakte zu Kuratoren in Japan. Irgendwann wurden wir von einer Agentur für einen ersten Auftrag angefragt. Nach und nach kamen weitere Länder dazu. 

Wir vier bei Inges Idee sind ein bisschen wie alte Tanten. Doch das Arbeiten in der Gruppe hat große Vorteile: Man ist selbst schon eine kleine Öffentlichkeit.
Georg Zey

Wie finden Ort und Kunstwerk zusammen? 

In China ist es häufig so, dass Gebäude oder ganze Stadtteile neu gebaut werden, und da gehört Kunst im öffentlichen Raum inzwischen auch dazu. Mal schreiben öffentliche, mal private Auftraggeber den Auftrag aus, meist läuft es aber über eine Agentur, die schon eine sehr klare Vorstellung hat von dem, was sie möchte. Dann wird man angefragt und hat manchmal auch nur sieben Tage Zeit, eine Idee zu entwickeln. Da muss es richtig schnell gehen! Da sind wir froh, dass wir auf so einen großen Erfahrungsschatz und viele Ideen zurückgreifen können. 

Wie sieht so ein Prozess aus? 

Wir sind seit 30 Jahren in diesem Nebenbereich der bildenden Kunst unterwegs und haben an rund 500 Wettbewerben teilgenommen. Da gibt es ein riesengroßes Portfolio, vergleichbar mit einem Besteckkasten, aus dem wir uns bedienen können. Wir vier bei Inges Idee sind ein bisschen wie alte Tanten, die sich und die Marotten der anderen gut kennen. Inzwischen haben wir aber ein relativ straffes und zielgerichtetes Arbeiten entwickelt, wir müssen ja oft schnell reagieren. Das Arbeiten in der Gruppe hat große Vorteile: Wenn man Kunst im öffentlichen Raum macht, ist es schön, wenn man selbst schon eine kleine Öffentlichkeit ist. Da gibt es eine große Oberfläche des Austauschs. 

Beschreiben Sie doch einmal eines Ihrer Kunstobjekte. 

Die Skulptur „Up We Go“ ist eine unserer bislang größten Arbeiten, sie ist 17 Meter hoch, aus rostfreiem Stahl, und reicht über mehrere Stockwerke eines großen Einkaufszentrums in Shanghai. Bei der Skulptur handelt sich um eine junge Person, die einen großen Schritt macht – vom eher privaten Bereich im zweiten Untergeschoss des Gebäudes, wo man nur den Schuh sieht, bis auf die Grünfläche auf dem Dach, auf dem der Schritt ankommt. Die Figur kommt irgendwoher, macht sich von irgendetwas frei und geht irgendwo hin. Sie symbolisiert auf positive Weise eine Aufbruchsstimmung. Wir hatten schon einmal eine ähnliche Figur für eine Schule in München entworfen, da schritt die Figur über einen Zaun. Im Fall von Shanghai wurden wir direkt von einer Agentur in Hongkong ausgewählt und mit der Entwicklung einer skulpturalen Idee beauftragt.

Wie sind sie an das Projekt herangegangen? 

Zentrale Aufgabe war, die Stockwerke miteinander zu verbinden. Dieses „Oben-unten“ gibt es in unserer Arbeit häufiger. Wir haben beispielsweise für eine Orthopädieklinik in Kanada einen Hund entworfen, der aus Knochen besteht und nach oben, nach einem weiteren Knochen, schaut. Für die Universitätsklinik in Seoul haben wir eine Schneefraumama erdacht, die sich über ein Geländer zu ihrem Schneemannkind hinunterbeugt, das auf einer Treppe steht und zu ihr hinaufsieht. Das passt gut zum emotionalen Kontext eines Krankenhauses.

Für das Einkaufszentrum in Shanghai haben wir noch eine zweite Skulptur entwickelt, die in Luftlinie 200 Meter Entfernung zu finden ist: Beim „Family Orchestra“ streckt eine Elefantenmama vom Dach aus ihren Trompetenrüssel nach ihrem Baby aus, das sich im Erdgeschoss befindet. Die Dimensionen in China sind übrigens beeindruckend: Die beiden Skulpturen trennt eine sechsspurige Straße, verbunden ist die Mall über eine Brücke. 

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Ihre Kunst wirkt ein bisschen, als würden Sie irgendwo ein Bonbon auslegen, damit die Menschen darüber in Dialog kommen. 

Ja, so könnte man es bezeichnen. Man braucht immer eine Art Türöffner. Irgendetwas, das jeder kennt und woran die Vorbeilaufenden anknüpfen können. Viele unserer Objekte sind nicht ohne Humor, oft ein kleines Stück aus dem Kontext geschoben. Sehr wichtig ist der spezifische Ort – natürlich würden wir für eine Schule etwas anderes entwerfen als beispielsweise für einen Bahnhof oder ein Einkaufszentrum. 

Worin liegt für Sie der Reiz an Kunst im öffentlichen Raum? 

Kunst im öffentlichen Raum trifft einen, sie begegnet einem und sie adressiert den Ort. Sie kann den gegebenen Kontext verschieben, und einen Ort damit interessanter und reicher machen. Es freut mich, wenn Menschen unsere Arbeit lieben und eine Verbindung zu ihr herstellen. Für mich ist der Dialog interessant – wenn Menschen über unsere Kunst ins Gespräch kommen, dann funktioniert es für mich. 

Georg Zey gründete 1992 zusammen mit Hans Hemmert, Axel Lieber und Thomas A. Schmidt das künstlerische Kollektiv „Inges Idee“, das skulpturale Kunst im öffentlichen Raum entwirft. Zey, geboren 1962 in Limburg an der Lahn, studierte Bildhauerei an der Gesamthochschule Kassel und der Hochschule der Künste (heute Universität der Künste) Berlin. 2004 bis 2005 leitete er den Masterstudiengang „Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien“ an der Bauhaus-Universität Weimar, von 2010 bis 2011 hatte er dort eine Gastprofessur inne. In seiner eigenen künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich mit unterschiedlichen Materialien wie Stahl, Aluminium, Keramik oder Silikon und entwickelt daraus Strukturen und abstrakte Imaginationen realer Objekte.