Künstlerische Brücke zwischen Deutschland und Korea
Zum ersten Mal ist Deutschland mit einem Pavillon auf der Gwangju Biennale dabei. Das deutsch-koreanische Kollektiv, das ihn gestaltet, erzählt, wie es mit Stereotypen spielt.
Die Gwangju Biennale findet seit 1994 in der 300 Kilometer von Seoul entfernten 1,4-Millionen-Metropole statt und gilt als bedeutendes Ereignis der Kunstwelt Asiens. Zum ersten Mal bereichert sie 2024 ein Deutscher Pavillon, realisiert durch das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen mit finanzieller Förderung durch das Auswärtige Amt und gestaltet vom deutsch-südkoreanischen Künstler*innenkollektiv Longega. deutschland.de hat mit drei Kunstschaffenden des Kollektivs gesprochen.
Siyoung Kim, was erleben Besucherinnen und Besucher im Deutschen Pavillon auf der Gwangju Biennale?
Siyoung Kim: Wir hatten das Glück, dass sich der Pavillon im Gwangju History & Folk Museum befindet, nicht weit vom Hauptaustragungsort der Gwangju-Biennale entfernt. Im Museum konnten wir etwa 800 Quadratmeter nutzen, und dort präsentieren wir eine räumliche Installation mit dem Titel „in between water – 두물마을“. Beim Betreten der Ausstellung steht man zunächst in einem Wald, in dem die Bäume auf Fitnessplatten montiert sind. Durch die Vibration der Platten wirkt es, als würde der Wind durch die Kronen der Bäume rauschen. Weiter gibt es ein Badmintonfeld, eine Werkstatt, ein Lagerfeuer, mystische Berge mit Instrumenten und einen Fluss, über den eine Brücke führt. Am Ende steht eine Hütte mit einer Küche. Sie bildet das gemütliche Zentrum, von dem aus man die gesamte Szenerie überblicken kann. Ein Großteil der Stationen lädt zum Mitmachen ein: zum Spielen, Kochen, Musizieren, Malen oder einfach, um sich in Gedanken zu verlieren.
Mit der Installation bilden Sie einen Ort nach, der sich in Italien, in den Südtiroler Dolomiten, befindet und an dem sich Ihr Künstler*innenkollektiv regelmäßig trifft: Longega. Was machen die Dolomiten im Deutschen Pavillon?
Fabian Feichter: Ich bin Mitte der 1980er-Jahre in Longegas Nachbardorf St. Vigil in Enneberg aufgewachsen und fand die Ecke immer wahnsinnig schön. Gleichzeitig ist in Longega nichts los. Es gibt eine Hauptstraße, einen Supermarkt und etwa 70 Einwohnerinnen und Einwohner. Nach meinem Kunststudium in München 2016 kam mir und Youlee Ku die Idee, in Longega eine Sommerresidenz für Kunstschaffende einzurichten, etwas später kamen auch Judith Neunhäuserer und Siyoung Kim dazu. Seit 2017 laden wir regelmäßig Künstlerinnen und Künstler aus Südkorea und Deutschland nach Südtirol ein, wie 2021 Nele Ka und Oliver Haussmann, und ermöglichen im Gegenzug Aufenthalte in Gwangju. Siyoung Kim hat, bevor sie nach München kam, die Kunsthochschule in Gwangju besucht und verfügte deshalb über zahlreiche Kontakte nach Südkorea. So ergab sich der Kontakt zur Gwangju Biennale.
Fabian Feichter
wurde 1986 im italienischen Brixen geboren und besuchte er die Berufsfachschule für Kunsthandwerk Bruneck in Südtirol und die Landesfachschule für Holzbildhauer und Schnitzer im Südtiroler Wolkenstein. Dann studierte er Freie Kunst an der Akademie für Bildende Kunst in München. Seine Diplomarbeit wurde mit dem DAAD-Preis des Deutschen Akademischen Austauschdiensts ausgezeichnet.
Im Deutschen Pavillon auf der Gwangju Biennale bilden Sie aber nicht einfach Longega nach...
Nele Ka: Nein, unsere Installation ist kein Bühnenbild. Als Kollektiv und als Einzelkünstler*innen, die inzwischen alle in München beheimatet sind, haben wir einen Ort der Teilhabe gestaltet, der die südkoreanische Kultur einbezieht. So haben wir beim Netz auf dem Federballfeld mit koreanischer Spitze gearbeitet, und die lässt sich in der Mitte wie ein Fenstervorhang auseinanderschieben. Die Spitze erinnerte uns stark an die Berghütten mit den typischen Gardinen in den Fenstern. Wir haben also verschiedene kulturelle Einflüsse vermischt und hinterfragen auf diese Weise stereotype Zuschreibungen. Die institutionelle und organisatorische Leitung des Pavillons hat übrigens die Münchner Kunst- und Kulturinstitution „PLATFORM“ übernommen, die durch das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) des Referats für Arbeit und Wirtschaft gefördert wird.
Nele Ka
gibt in ihrer künstlerischen Biografie an, 2368 / in SAO-21846 Cassiopeiae geboren zu sein als Teil einer unbekannten Spezies – der Transplanetarier*innen. Transplanetarier*innen bereisen Sonnensysteme, um die Ursache vergänglicher Existenz zu erforschen.
Fabian Feichter: Aus dem Ladinischen übersetzt bedeutet Longega „Zwischenwasser“, daher auch der Titel unserer Arbeit. Wir haben in Longega eine Kamera installiert, die Liveaufnahmen vom Fluss in den Deutschen Pavillon überträgt. In der Werkstatt zeigen wir weitere Videodokumentationen, die von unserem Leben und Arbeiten in Longega erzählen.
Mit welchen kulturellen Vorstellungen kamen Sie, Siyoung Kim, nach Deutschland?
Siyoung Kim: Ich bin in Berlin geboren, doch meine Eltern sind nach Südkorea zurückgekehrt, als ich vier Jahre alt war. Sie haben mir ein paar deutsche Worte beigebracht: Orange. Geld. Tüte. Trotzdem musste ich, als ich in Berlin ankam, sprachlich bei null anfangen. Die neue Umgebung war zunächst überfordernd: Die Menschen erschienen mir riesig, blass und die Straßenschilder waren für mich unverständlich. Mein Klischee von Deutschland, dass es viele Regeln gibt, hat sich bestätigt. Heute fühle ich mich in München zu Hause und teile gerne meine koreanische Herkunft und Kultur.
Fabian Feichter: In unserer Künstler*innenresidenz in Longega ist gemeinsames Essen ein großes Thema. Abends kocht, wer immer Lust dazu hat, und da meine Frau Youlee Ku Koreanerin ist, haben wir auch immer koreanische Zutaten in den Bergen.
Siyoung Kim: Gerade am ersten Abend, wenn man sich noch nicht so gut kennt, ist das gemeinsame Essen ein Eisbrecher. Auch die gemischte Küche kommt gut an: Kimchi und Knödel. Anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Longega-Projekts haben wir 2022 im Rahmen unserer Jubiläumausstellung im Maximiliansforum in München einen Kochworkshop für Schulkinder und Jugendliche zu diesem Thema durchgeführt.
Siyoung Kim
ist 1976 in Berlin geboren, studierte an der Chosun-Universität in Gwangju und an der Akademie der Bildenden Künste in München. 2007 erhielt sie dort ihr Diplom und 2024 den Förderpreis für Bildende Kunst München.
Was erzählt Ihr Pavillon auf der Gwangju Biennale über Deutschland?
Nele Ka: Als Besucherin oder Besucher ist man natürlich immer gespannt, was die jeweiligen Länder sich einfallen lassen, und vielleicht hat man in diesem Moment auch bereits eine selektive Wahrnehmung. Wir als Longega-Projekt, die wir zwar in Deutschland leben, aber ein sehr multikulturelles Team sind, brechen deshalb bewusst mit dem Nationalgedanken beim Länderpavillon als einem eher veralteten Konzept. Vereinfacht gesagt: Es gibt kein Oktoberfest, nur weil wir aus Bayern kommen. Stattdessen beziehen wir uns mit unserer Arbeit auf elementare Begegnungen mit der Natur. Das schafft eine Besinnung auf die archaischen und universellen Bedürfnisse des Menschen: Jeder braucht Feuer und ein warmes Zuhause. In uns allen lebt die Neugier, etwas zu entdecken und im Wald auf die Suche zu gehen.
Nele Ka, Sie geben in Ihrer Biografie an, als Teil einer unbekannten Spezies geboren zu sein. Wie blickt die Transplanetarierin auf Longega und den Deutschen Pavillon auf der Gwangju Biennale?
Nele Ka: Ich arbeite mit dem Narrativ einer anderen Spezies, die unter anderem den blauen Planeten bereist und sich anschaut, was hier passiert. Aus Sicht der Transplanetarierin wäre Longega der wohl schönste Ort, an dem man leben könnte. Und der Pavillon ein beispielhafter Versuch, diese Vision auf andere Orte zu übertragen.