„Antisemitismus geht alle an“
Rote Linien und Zivilcourage – Felix Klein erklärt, warum Deutschland im Jahr 2018 einen Antisemitismusbeauftragten braucht.
Der Jurist und Diplomat Felix Klein ist seit Mai 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
Herr Klein, warum braucht Deutschland im Jahr 2018 einen Antisemitismusbeauftragten – haben die Menschen hier das „nie wieder!“ nicht verinnerlicht?
Die Bunderegierung hat die Notwendigkeit erkannt, alle vorhandenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus zu bündeln und Akteure miteinander zu vernetzten. 73 Jahre nach Ende des Holocaust brauchen wir auch neue Impulse, wie wir mit unserer Erinnerungspolitik umgehen, die ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Antisemitismus ist.
Was wollen Sie in Ihrem Amt bewirken?
Ich möchte Antisemitismus sichtbarer machen und der deutschen Gesellschaft vor Augen führen, dass das ein großes Übel ist, das nicht nur Juden in diesem Land angeht, sondern alle. Die Akteure, die sich gegen Antisemitismus engagieren, möchte ich ermuntern, sich zu vernetzen und ihre Stimmen lauter zu erheben. Und Juden in Deutschland möchte ich ermutigen, es öffentlich zu machen, wenn sie angegriffen werden.
Gut und wichtig finde ich, dass Medien ausführlicher über antisemitische Vorfälle berichten. Diesen Trend möchte ich verstärken, um das Bewusstsein in der Gesellschaft zu verändern.
Greift die Aufklärungsarbeit in den Schulen nicht genug? Müsste der Holocaust noch intensiver oder anders aufgearbeitet werden?
Die Vermittlung des Holocaust in der Schule ist eine politische Daueraufgabe. Da haben wir viel erreicht, darauf können wir stolz darauf sein. Aber im Jahr 2018 sind weitere Formen nötig, um Jugendliche zu erreichen und ihre Zivilcourage zu stärken. Der Transfer von der Geschichte in die Gegenwart und Zukunft muss klarer werden. Wir müssen vermitteln, was es bedeutet, wenn wir heute Gewalt auf den Straßen sehen.
Inzwischen hat fast jeder fünfte Schüler in Deutschland Migrationshintergrund. Deshalb ist es wichtig, alle Schülerinnen und Schüler in die Aufarbeitung des Holocaust einzubeziehen, nicht nur die deutschen. Die Botschaft ist: Es geht um allgemeine Werte, die in schlimmster Weise missbraucht werden.
Stimmt es, dass mit Migranten aus dem Nahen Osten eine neue Ausprägung von Antisemitismus nach Deutschland gekommen ist?
Beim Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik ist das nicht der Fall. Zumindest bei Straftaten gibt es keinen signifikanten Anstieg. Aber in der subjektiven Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist die Aggression von insbesondere männlichen jungen Migranten viel stärker spürbar. Viele Migranten sind in Ländern sozialisiert worden, in denen ein für uns völlig inakzeptables Bild von Juden und von Israel vermittelt wird. Daran anzusetzen, ist eine Integrationsaufgabe.
Muss das Thema in Integrationskursen verankert werden?
Ja. Wir müssen ganz klar vermitteln: Wer in Deutschland leben will, muss einige Werte akzeptieren. Dazu gehört Respekt vor Juden und der Umgang mit der deutschen Geschichte.
Braucht Deutschland mehr zivilgesellschaftliches Engagement gegen Vorurteile und Extremismus?
Soziale Medien haben leider zu einer Verrohung unseres politischen und gesellschaftlichen Diskurses beigetragen. Radikale und völlig inakzeptable Sätze bleiben im Netz unwidersprochen. Wir müssen rote Linien wieder dahin zurückverschieben, wo sie hingehören. Dazu gehört ganz klar zivilgesellschaftliches Engagement. Wer Antisemitismus auch in scheinbar harmloser Form mitbekommt, sollte einschreiten und sagen, „sowas hat in Deutschland keinen Platz“. Antisemitismus fängt ganz häufig im Kleinen an, mit Klischees. Doch dieser Bodensatz ist sehr gefährlich.
Interview: Tanja Zech
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