„Ich verehre den deutschen Sozialstaat“
Die US-Autorin Nell Zink lebt seit fast 20 Jahren in Deutschland – und lobt, dass die Lebenswelten hier nicht so weit auseinander klaffen.
Bad Belzig hat etwas mehr als 11.000 Einwohner und liegt in Brandenburg. Hier lebt Nell Zink – nicht in Berlin, wie man es von einer nach Deutschland ausgewanderten US-Autorin vielleicht erwarten würde. Zink wurde 2016 mit dem Buch „Der Mauerläufer“ berühmt.
Frau Zink, was fiel Ihnen an Deutschland am meisten auf, als sie herzogen?
Es gibt Dinge, die das Leben stark beeinflussen, obwohl man sie zunächst gar nicht so im Blick hat. Zum Beispiel: Wie hoch ist die Anzahlung, wenn man eine Wohnung kaufen will? Oder: Wie teuer ist mieten im Vergleich zu kaufen? Wohnen ist die Existenzfrage überhaupt.
Ist diese Frage in Deutschland einfacher zu beantworten als in Ihrer Heimat USA?
Sehr viel einfacher – wegen des deutschen Sozialstaats, den ich verehre. In der New York Times habe ich gelesen, dass es weltweit nur drei Länder gibt, in denen niemand von weniger als zwei Dollar am Tag leben muss. Deutschland gehört dazu. Ein sozialer Brennpunkt in Deutschland ist nicht zu vergleichen mit einem sozialen Brennpunkt in den USA. Als ich 2000 hierhergezogen bin, habe ich zunächst im Südwesten Deutschlands gelebt. Ich hatte kein Geld, aber meine Lebensweise war gar nicht so anders als die der Reichen: Man setzte sich aufs Fahrrad und fuhr an den See. Natürlich gehen Arme nicht ins Sternerestaurant oder buchen einen Skiurlaub, aber ansonsten gibt es wirklich wenige Unterschiede. Die Lebenswelten sind hier bei weitem nicht so stark voneinander getrennt wie in den USA, wo ganze Städte abgehängt werden.
Wenn Sie mit Menschen in den USA über Deutschland sprechen – finden Sie deren Bild zutreffend?
Mir fällt zunächst auf, dass Deutschland in den USA überhaupt wahrgenommen wird. Während der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 berichteten die Medien, wie Deutschland damit umgeht. Vorher verband man mit Deutschland im Wesentlichen den Nationalsozialismus. Was auch zu diesem Wandel beigetragen hat: Es gehen heute viele deutsche Programmierer zum Arbeiten in die USA, junge Leute um die 30. Wer in dieser Branche tätig ist, kennt jede Menge Deutsche. Das verändert die Wahrnehmung.
Sie engagieren sich für den Naturschutz und sind Mitglied bei den Grünen. Ist dieses Umweltdenken typisch deutsch?
Nein. Die Umweltbewegung in den USA ist sehr stark, auch wenn man das in Deutschland vielleicht nicht so sieht. Die USA haben ungeheure Naturschätze. Die USA haben ungeheure Naturschätze. Wenn man beispielsweise auf eine Karte von Kalifornien schaut, sieht man Gegenden, die noch als Wildnis ausgewiesen sind. Der Naturschutz in Deutschland ist ein ständiger Kampf und er wird an vielen Fronten verloren, unter anderem, weil die Landwirtschaft vieles diktiert. Dass Deutschland beim Umweltschutz einen so guten Ruf hat, verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
Interview: Helen Sibum