Vom Krieg ins Klassenzimmer
In Syrien und anderen Krisenländern waren sie erfahrene Lehrer, dann mussten sie fliehen. In Deutschland möchten sie endlich wieder unterrichten. Einfach ist das nicht.
Deutschland. Im Seminar geht es an diesem Tag um den Computer als Lernmittel. „Der Computer hat eine große Speicherkapazität und“ – der junge Mann zögert, fährt mit dem Finger über seine Zettel – „ermöglicht virtuelle Lernplatten.“ Die Lehrerin korrigiert: „Lernplattformen.“ Einige Mitstudierende machen sich Notizen, dann geht es weiter im Text. Hier herrscht volle Konzentration.
Aussicht auf eine Stelle als Assistenzlehrer
Wer im Unterricht des Refugee Teachers Program der Universität Potsdam mithalten will, braucht eine hohe Motivation. Denn das vom Brandenburger Wissenschaftsministerium und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanzierte Pilotprojekt hat ein ehrgeiziges Ziel: Geflüchtete, die in ihrer Heimat lange als Lehrer gearbeitet haben, bereiten sich hier auf die Arbeit an deutschen Schulen vor. Und das in nur eineinhalb Jahren. Dafür lernen sie täglich mindestens vier Stunden: Grammatik, Fachvokabular, Pädagogik. Manchmal sitzen sie gemeinsam mit deutschsprachigen Lehramtsstudenten in den Kursen, manchmal in eigenen Gruppen. Wer am Schluss die Prüfung besteht, bekommt für zwei Jahre eine Stelle als Assistenzlehrer an einer Schule im Bundesland Brandenburg.
„Etwas Vergleichbares gab es vorher nicht“, sagt Miriam Vock. Die Professorin für Empirische Unterrichts- und Interventionsforschung an der Universität Potsdam hat das Programm entwickelt. Doch der Anspruch an Lehrer in Deutschland ist hoch. Seit dem Start des Pojekts im April 2016 habe man dazugelernt. Anfangs war die Ausbildung nur auf ein Jahr ausgelegt. Viel zu wenig Zeit, um in einem fremden Land in einen so anspruchsvollen Beruf zu starten. Deshalb läuft das Programm nun ein halbes Jahr länger. Dennoch bestehen nicht alle Teilnehmer auf Anhieb die Sprachprüfung für das Niveau C1, die Voraussetzung für die Assistenzstelle ist. Einige müssen den Test wiederholen.
Gute Ansprechpartner für geflüchtete Schüler
Trotzdem sprechen die Erfolge für sich: Inzwischen bereitet sich schon die vierte Gruppe auf den Lehrerberuf in Deutschland vor, inklusive eines mehrmonatigen Schulpraktikums. „Es läuft für beide Seiten gut, sowohl für die Teilnehmer als auch für die Schulen“, sagt Vock. Die Präsenz der geflüchteten Lehrer erleichtere zudem die Integration von Schülern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Die erfolgreichen Absolventen des ersten Jahrgangs arbeiten schon als Assistenzlehrer. Nach zwei Jahren sollen sie fest einsteigen. Der Bedarf ist groß, an vielen Orten in Deutschland fehlen Lehrer, vor allem für bestimmte Fächer. Zudem wird es in fünf Jahren allein in Brandenburg rund 293.000 Schüler mit Migrationshintergrund geben, hat das dortige Bildungsministerium errechnet. Die Chancen stehen also gut, dass das Refugee Teachers Program weitergeführt wird. Inzwischen gibt es ein weiteres Angebot: Die Universität Bielefeld hat mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung die Initiative Lehrkräfte Plus gestartet. Miriam Vock hofft auf weitere interessierte Unis. „Es ist wichtig, den vielen gut qualifizierten Lehrern unter den Geflüchteten eine Chance zu geben.“
Hier erzählen zwei Teilnehmerinnen des Refugee Teachers Program von ihren Erfahrungen:
Wahida Alomar, 33 Jahre
An diesem kalten Februartag ist es genau zwei Jahre her, dass Wahida Alomar Deutschland erreichte. Zwölf Jahre lang hatte sie zuvor an einer Grundschule in Aleppo unterrichtet, 2016 floh sie aus Syrien. „Im Januar 2016 habe ich noch gearbeitet“, erzählt die 33-Jährige. „Da flog ein Bomber über die Schule hinweg, ein Kind des Rektors starb.“
Nun in Potsdam zu sein, darüber ist Alomar froh. Im ersten Sprachkurs in Deutschland empfahl ihr eine Lehrerin das Refugee Teachers Program, das sie nun fast abgeschlossen hat. Alomar kann es kaum erwarten, Assistenzlehrerin zu werden – doch sie hat auch Angst vor dem, was danach kommt. Sie hofft sehr, dass der Einstieg klappt. „Lehrerin“, sagt sie, „das war doch immer mein Traumberuf.“ Allerdings funktioniere der Umgang zwischen Kindern und Lehrern in Deutschland oft anders. In Syrien sei es zum Beispiel ungewöhnlich, dass ein Schüler im Unterricht mit verschränkten Armen dasitzt und auf Fragen des Lehrers nicht antwortet, sagt Alomar und lacht. Im Refugee Teachers Program habe sie von deutschen Kommilitonen aber viel darüber gelernt, wie man mit störenden Kindern umgeht.
Lina Alkhalaf, 32 Jahre
Endlich wieder unterrichten können – das wünscht sich Lina Alkhalaf, die aus Syriens Hauptstadt Damaskus kommt. Neun Jahre war sie dort Oberstufenlehrerin für Mathematik, Chemie und Physik. Obwohl Alkhalaf erst vor eineinhalb Jahren mit dem Deutschlernen begonnen hat, ist nur ein leichter Akzent zu hören, wenn die 32-Jährige von den Unterschieden zwischen den Schulsystemen in ihrer alten und neuen Heimat erzählt.
„In Syrien sind die Klassen im Gymnasium viel größer, mit 35 bis 40 Schülern. Und Fächer abwählen können die Schüler nicht.“ Alkhalaf schwärmt davon, dass es in deutschen Schulen viel mehr technische Geräte und Lernmaterialien gibt. Und die Schüler seien bei ihrem Praktikum immer sehr offen und nett gewesen – „ich habe viel von ihnen gelernt“. Wie es nach den zwei Jahren als Assistenzlehrerin weitergeht, darüber macht sich auch Alkhalaf Gedanken. „Wenn es nicht klappt als Lehrerin, könnte ich als Physikerin in die Forschung gehen.“