Zwischen Staat und Markt
Ein Drittel der Bürger in Deutschland engagiert sich mit Zeit, Ideen und Geld für das Gemeinwohl.

Moderator Markus Kavka diskutiert mit Schulklassen in Sachsen über Rechtsextremismus und bloggt auf der Website „Störungsmelder“ (http://blog.zeit.de/stoerungsmelder) zum Thema Neonazis, beides unterstützt von der Initiative „Gesicht zeigen!“. Eva-Maria Brand aus Eisenach, Medizinerin im Ruhestand, sammelt unermüdlich Unterschriften für ein Volksbegehren. Ullrich Schott kümmert sich als Mitarbeiter des Kinderhospizdienstes in Unna in seiner Freizeit um die Geschwister eines todkranken Kindes. Edith Schulz übt mit Migrantenkindern einer Grundschule in Frankfurt am Main jede Woche Lesen. Karin und Carlo Giersch unterstützen mit Millionen Euro, die sie mit ihrem Unternehmen verdient haben, die wissenschaftliche Arbeit der Technischen Universität Darmstadt. Sechs Menschen, die Zeit, Ideen, Mitgefühl oder auch Geld und Prominenz einsetzen. Sie engagieren sich unentgeltlich – weil sie etwas verändern wollen, weil sie etwas Sinnvolles unterstützen möchten oder weil sie einfach Spaß haben an dem, was sie tun. Sie sind sechs von 23 Millionen Menschen in Deutschland, die sich bürgerschaftlich engagieren, sei es im sozialen Bereich, im Umweltschutz oder in Interessengruppen.
Zwischen Staat und Markt
Zivilgesellschaft, Bürgerarbeit, Ehrenamt – wie immer man dieses freiwillige Engagement nennt, es umspannt ein weites Spektrum: Es reicht von der Arbeit als Übungsleiter im Sportverein über das Engagement in der Kirchengemeinde bis zur Mitarbeit in Nichtregierungsorganisationen (NGO) und dem Corporate Citizenship, dem bürgerschaftlichen Engagement in und von Unternehmen. Der Wissenschaftler Helmut Anheier, Soziologieprofessor an der Universität Heidelberg, definiert Zivilgesellschaft als „die Kapazität der Gesellschaft zur Selbstorganisation – unabhängig vom Staat, aber nicht notwendigerweise in Opposition zu ihm“. Die Zivilgesellschaft gilt als die Kraft zwischen Staat und Markt und wird daher auch als „Dritter Sektor“ bezeichnet. Dazu gehören die Globalisierungskritiker von Attac genauso wie ein Multimillionär, der eine Stiftung gründet.
Zahlen zum Bürgerengagement in Deutschland hat die Versicherung Generali in der Studie „Engagementatlas 2009“ vorgelegt: Demnach sind bundesweit 34 Prozent aller Menschen über 16 Jahre bürgerschaftlich engagiert, ihre Leistungen entsprechen einer Arbeitszeit von 3,2 Millionen Vollbeschäftigten. Die meisten Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich in den Bereichen Sport, Vereine, Kinder- und Jugendarbeit sowie Kirche. Nur fünf Prozent setzen sich für Politik und Interessengruppen ein. Im Süden und Westen der Bundesrepublik, dort, wo die Menschen im Allgemeinen besser situiert sind, wird mehr Bürgerarbeit geleistet als im Norden oder Osten. Menschen mit höherem Bildungsgrad engagieren sich häufiger als schlechter Ausgebildete.
In den vergangenen Jahren hat sich die Form der Bürgerarbeit verändert: „Das Engagement hat zugenommen“, stellt Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft in Berlin, fest. „Es verlagert sich aber von den großen alten Verbänden zu den kleinen, jungen, selbstorganisierten Gruppen, in denen relativ hierarchiefrei mitgestaltet werden kann.“ Die Menschen setzen sich eher für wechselnde Projekte ein als für ein und dieselbe Organisation.
Gradmesser der Demokratie?
Viele sehen im bürgerschaftlichen Engagement das Elixier und den Gradmesser für eine lebendige demokratische Gesellschaft. Aber: In Frankreich mit seinem starken Staatswesen spielt die Zivilgesellschaft keine bedeutende Rolle – dennoch funktioniert die Demokratie bestens. Einen hohen Stellenwert hat das Bürgerengagement dagegen traditionell in den USA: Die Bürgerinnen und Bürger organisieren in erheblichem Umfang das Sozial-, Bildungs- und Kulturwesen selbst – weil es der Staat nicht tut. Aber auch in den skandinavischen Ländern mit ihrem umfassenden Sozialstaat ist die Zivilgesellschaft seit jeher ein sehr viel stärkerer Faktor als etwa im Süden Europas. Auch über das Verhältnis von demokratischer Legitimation und selbstorganisiertem Engagement wird diskutiert: Eine milliardenschwere Stiftung oder eine professionell agierende NRO kann Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen, ohne ein „Mandat“ dafür zu haben. Andererseits war es zum Beispiel die Umweltbewegung, die das Thema Ökologie schließlich auf die politische Agenda gesetzt hat. Zum Vorteil aller.
In der Diskussion ist auch, ob sich der Staat nicht durch die Freiwilligenarbeit zu stark von Aufgaben entlastet, ob starke private Initiativen nicht sogar einen Rückzug des Sozialstaats befördern. Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der „Süddeutschen Zeitung“, formuliert es kraftvoll so: „Der Staat hat seine Pflicht zu erfüllen, privates Engagement ist die Kür.“
Zivile Krisenprävention
Die deutsche Bundesregierung versteht es als ressortübergreifende Aufgabe, den Ausbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen in Konfliktregionen und Transformationsländern zu fördern. Sie setzt sich für die Werte freiheitlicher Demokratie, Menschenrechte sowie für zivilgesellschaftliche und friedenstiftende Prozesse ein. Zum Beispiel mit dem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung gehört die Stärkung der gesellschaftlichen Akteure, die sich für eine gewaltfreie Austragung von Konflikten einsetzen. So berät das Programm zivik, finanziert vom Auswärtigen Amt, NROs und fördert Projekte, die in Krisenregionen umgesetzt werden. Regionale Schwerpunkte liegen in Afrika, Zentral- und Südostasien, im Nahen Osten und im Kaukasus.