Über das Versprechen der Demokratie
Das Austauschprojekt „Inclusion in German and Israeli Societies“ bringt Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Identitäten zusammen.
Wie kann es gesellschaftlich gelingen, Einzelne mit ihren Einzigartigkeiten, Bedürfnissen, Lebenswelten und Wertvorstellungen wahrzunehmen? Wie wird mit den vermeintlich „Anderen“ umgegangen? Wer definiert, was die Norm und was die Abweichung ist? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Projekt „Inclusion in German and Israeli Societies – challenges in social and youth“. An dem Austausch zwischen Studierenden aus Israel und Deutschland haben seit 2018 rund 140 junge Menschen teilgenommen. Sie haben über Inklusion, zum Beispiel von Menschen mit Behinderungen, unterschiedliche Religionen, Flucht und sexuelle Orientierung gesprochen – und gelernt, dass nichts so einfach oder eindimensional ist, wie es manchmal auf den ersten Blick scheint.
Ursprünglich als Fachkräfteaustausch gestartet, leitet heute Professorin Gritt Klinkhammer das Projekt gemeinsam mit Mouli Bentman vom Sapir College in Sderot und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bildungsstätte Brebeck in Niedersachen. 2020 wurde dem Projekt der Shimon-Peres-Preis verliehen, eine Auszeichnung des Auswärtigen Amts in Kooperation mit der Stiftung Deutsch-Israelisches Zukunftsforum.
Jeweils eine Woche verbringen die jungen Menschen im anderen Land. „Zwei heterogene Gruppen lernen sich und die jeweils andere Lebensweise kennen, aber auch andere Auffassungen über das Leben und natürlich über Inklusion und Exklusion kennen“, sagt Austauschleiterin Klinkhammer. Und in so einem Austausch prallen oft Vorurteile aufeinander, die aber im Laufe der Reise hinterfragt und abgebaut werden können. Das geschieht durch kulturellen Aktionen wie Theater- oder Musikprojekten, In- und Exklusion wird aber auch in Rollenspielen thematisiert. „Wenn man auf Israel und Deutschland blickt, haben manche schnell das Gefühl, in Deutschland läuft jetzt alles richtig gut“, sagt Klinkhammer. „Aber im Laufe des Projekts wird klar, dass es eben auch bei uns gesellschaftliche Lücken gibt und noch mehr gäbe, wenn sich Menschen nicht für Inklusion engagieren würden.“ Das sei eine Perspektive, die nicht selbstverständlich ist.
Lipaz Dadon Huri, 25, studiert „Öffentliche Verwaltung und Politik“ am Sapir College in Sderot
Warum ist internationaler Austausch beim Thema Inklusion und Exklusion wichtig?
Um über In- und Exklusion zu sprechen, braucht man Gruppen, die aus ganz unterschiedlichen Identitäten und Meinungen bestehen. In unserem Alltag, ob im privaten oder beruflichen Umfeld, sind wir oft von Menschen umgeben, die unsere Ansichten teilen und ähnliche Lebensumstände haben. Wir sollten aber bewusst daran arbeiten, Beziehungen mit Menschen aufzubauen, die anders sind und anders denken. Mit denen müssen wir bedeutungsvolle Diskussionen führen und vor allem zuhören.
Was haben Sie sich von der Teilnahme versprochen?
Während meines Studiums wollte ich viele möglichst unterschiedliche praktische Erfahrungen sammeln. Die Idee, an einem Austausch zu Inklusion und Exklusion teilzunehmen, und dann auch noch zwischen Deutschland und Israel, hat mich fasziniert. Ich war froh, dass durch die Teilnahme meine Neugier noch wuchs. Ich wollte mich vor allem mit dem Leben und den Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Die Workshops, an denen ich teilgenommen habe, und die Orte, die ich besuchen konnte, haben mein Denken und meinen Blickwinkel erweitert.
Was war Ihr Highlight?
Der Besuch brachte einiges an Herausforderungen mit sich, angefangen vom anderen Klima, den sprachlichen Schwierigkeiten und der Anpassung an andere Gewohnheiten. An einem kühlen Abend besuchten wir aber das Bürgerzentrum Neue Vahr e.V. in Bremen. Es wurde für unsere Gruppe zu einem Ort, an dem alle Diskrepanzen und Schwierigkeiten in unserer Gemeinschaft plötzlich in den Hintergrund rückten. Sinnvolles und nachhaltiges Lernen geschieht meiner Meinung nach in dem Moment, in dem man etwas selbst erlebt und dadurch Ansichten besser versteht. Dort, in diesem Kulturzentrum, kamen die Taten vor den Worten. Kunst, Humor und Menschlichkeit haben unsere multiethnische Gruppe an diesem Nachmittag zusammengeführt. Daran erinnere ich mich immer wieder gerne zurück.
Franziska Betz, 29, studiert „Transkulturelle Studien“ an der Universität Bremen
Wieso ist Ihnen das Thema Inklusion und Exklusion wichtig?
Es ist wichtig für die Gesellschaft. Es ist das Versprechen der Demokratie, dass alle teilhaben können. Aber das wird eben nicht immer erfüllt. Deshalb finde ich es wichtig, dass man sich damit beschäftigt und schaut, wie Teilhabe funktionieren kann.
Warum wollten Sie an dem Programm teilnehmen?
In der Vergangenheit habe ich mich schon intensiv mit Anti-Diskriminierungsthemen beschäftigt, auch mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Deshalb fand ich den thematischen Fokus des Austauschs sehr spannend. Ich hatte aber auch Lust, das Land Israel kennenzulernen – und das nicht als Touristin, sondern in einem Rahmen, in dem ich die Menschen anders kennenlernen kann. Ich wollte der israelischen Gesellschaft so näher kommen. Während des Austauschs habe ich dann viele Organisationen kennengelernt, die sich mit dem Themen professionell beschäftigen – und ich habe nochmal deutlicher gelernt, dass es in Israel eben nicht immer nur um den Nahost-Konflikt geht. Es ist alles komplizierter und komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.
Was war Ihr Highlight?
In Israel besuchten wir eine Schule in dem beduinischen Dorf Zarnug. Dort ging es in einem Projekt um die Ausbildung von Streitschlichtern. Ich fand es toll, mitzubekommen, wie die Kinder dort unterstützt werden, sich für sich und ihre Umwelt einzusetzen – und lernen, selbst Probleme zu lösen. Persönlich gab es innerhalb der Gruppe aber auch unglaublich viele schöne Momente. Wir haben die gemeinschaftliche Begegnung gefeiert und persönliche Verbindungen aufgebaut.