Selbstbewusste Migranten
Zuwanderung von Polen nach Deutschland gibt es in größerem Ausmaß seit rund 200 Jahren: Die Bilanz fällt klar positiv aus.
Die Erfolgsgeschichten von Lukas Podolski und Miroslav Klose sind schon oft und prominent erzählt worden. Zwei fantastische Fußballer, in Polen geboren, aber in Deutschland aufgewachsen, wo sie schließlich mit dem Bundesadler auf der Brust von Triumph zu Triumph stürmten. Weltmeister 2014, beide. Kein Wunder also, dass die Namen Klose und Podolski wieder und wieder als Beispiele für eine gelungene Integration genannt werden.
„Polonia“ in Deutschland
Podolski und Klose sind zwei von geschätzten zwei Millionen Menschen, die für die „Polonia“ in Deutschland stehen. Der polnische Begriff bezeichnet Menschen mit polnischen Wurzeln, die im Ausland leben. Zugleich stehen sie aber auch für einen besonderen „polnischen Weg“ der Zuwanderung nach Deutschland, wie ihn der Historiker Peter Oliver Loew in seinem Buch „Wir Unsichtbaren“ und die Journalistin Emilia Smechowski in „Wir Strebermigranten“ beschrieben haben.
Eine Frau mit einem männlichen Nachnamen
Smechowski konnte ihre eigene Biografie als Beispiel anführen. Geboren als Emilka Elżbieta Śmiechowska in der nordpolnischen Wojewodschaft Pomorskie (Pommern), zog sie im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern nach Berlin. Aus Emilka wurde dort eine preisgekrönte Autorin, und eben auch Emilia Smechowski, eine junge Frau, die mit der männlichen Form des polnischen Nachnamens durch die Welt lief und wie selbstverständlich auf für Deutsche „unaussprechliche“ Buchstaben wie ein „Ś“ oder ein „Ż“ im eingedeutschten Namen verzichtete. So wie aus Mirosław Józef Klose und Łukasz Józef Podolski früh Miroslav und Lukas wurden und später der „Miro“ und der „Poldi“. Oder aus CDU-Generalsekretär Ziemiak, der im westpolnischen Szczecin (Stettin) als Paweł zur Welt kam, Paul Ziemiak wurde.
„Polnische Migrantenfamilien in Deutschland haben tatsächlich diesen Hang, sich schon vom Namen her möglichst unsichtbar zu machen“, bestätigt die Germanistin und Übersetzerin Izabella Sellmer von der Universität Posen, die auch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder unterrichtet und mit ihrem deutschen Mann Sven und Tochter Maja in Berlin lebt. Dort engagiert sie sich seit Jahren ehrenamtlich in der Schul- und Bildungsarbeit und beobachtet immer wieder, wie aus einem Tomasz schnell ein Tomas wird oder aus einer Katarzyna eine Katharina. Es gebe diese „polnischen Komplexe“ immer noch, von denen der Historiker Loew schreibt, obwohl es durchaus gegenläufige Tendenzen gebe: eine betonte Sehnsucht nach der polnischen Heimat und ein wachsendes patriotisches Selbstbewusstsein.
„Deutsche Überheblichkeitsgefühle“ übten Druck aus
Loew hat etwas Ähnliches beobachtet. Der „von deutschen Überheblichkeitsgefühlen mit verursachte Anpassungsdruck“ auf Menschen mit polnischen Wurzeln in der Bundesrepublik habe nach der EU-Osterweiterung 2004 nachgelassen. Tatsächlich kann das moderne Polen in vielen Bereichen, vor allem aber wirtschaftlich, auf eine in Europa einzigartige Erfolgsgeschichte verweisen. Seit bald 20 Jahren befindet sich das Land mit Wachstumsraten bis zu sieben Prozent im Dauerboom. Seit dem EU-Beitritt hat sich das Bruttoinlandsprodukt fast verdreifacht. Und als im Januar 2020 die staatliche polnische Fluglinie LOT ankündigte, den deutschen Ferienflieger Condor zu übernehmen, da war Ministerpräsident Mateusz Morawiecki begeistert: „Unsere Unternehmen haben heute keine Komplexe mehr.“
Aber auch im Sport haben sich die Verhältnisse spürbar verändert. Die Familie der in Bremen geborene Tennisspielerin Angelique Kerber hat polnische Wurzeln. Für sie war es nie eine Frage, etwa bei Olympia, für Deutschland auf den Platz zu gehen, obwohl sie neben der deutschen auch die polnische Staatsbürgerschaft besitzt. Zugleich macht die Wimbledonsiegerin von 2018 aber keinen Hehl aus ihrer Liebe zu Polen. 2012 verlegte sie ihren Wohnsitz in die Nähe von Posen, wo sie im Tenniszentrum ihres Großvaters Janusz Rzeźnik trainierte. Und auch Polens Fußballfans brauchen schon länger nicht mehr auf irgendeine „Polenpower“ im deutschen WM-Team zu verweisen. Weltstars und Topspieler wie Robert Lewandowski laufen zwar für Bayern München und andere europäische Spitzenvereine auf. Im Nationaltrikot tragen sie aber den polnischen Adler auf der Brust.
Was lässt sich daraus schließen? Klar ist: Unter dem Strich ist die deutsch-polnische Migrationsbilanz für beide Seiten positiv. So bezeichnet Loew die „seit knapp 150 Jahren bestehende, sehr intensive Zuwanderung von Polen nach Deutschland“ vor allem wegen der entstandenen Netzwerke und Traditionen als „prägend“ für die Beziehungen der Nachbarländer. Für Deutschland habe diese Zuwanderung bis heute „erhebliche Vorteile, da sich aufgrund der kulturellen Nähe verhältnismäßig wenige Probleme ergeben“.
Europas Wirtschaftswunderland Nummer Eins
Polen wiederum profitiert von Erfahrungs-, Wissens- und Geldtransfers seiner Migranten in die ursprüngliche Heimat. Dagegen schlägt die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte negativ zu Buche. Wettgemacht wird dieser Faktor allerdings dadurch, dass Polen – auch mit deutscher Unterstützung – die Chancen des EU-Beitritts genutzt hat. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis die Menschen aus Europas Wirtschaftswunderland Nummer eins auch die letzten überholten „Komplexe“ ablegen. Und dann werden die beliebtesten polnischen Babynamen der vergangenen Jahre, Zuzanna und Antoni, sicher auch in Deutschland häufiger zu hören sein. Eine klangliche Bereicherung wäre es in jedem Fall.