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Zwei Wochen voller Dankbarkeit

Viele tausend Deutsche nehmen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf – wir haben eine von ihnen besucht.

Martina Propson-Hauck, 25.03.2022
Sabine Nietmann (l.), Svitlana Shevchenko und Anzhelika Olefirenko.
Sabine Nietmann (l.), Svitlana Shevchenko und Anzhelika Olefirenko. © Rolf Oeser

Als Flugbegleiterin Sabine Nietmann nach Hause kam, roch die Wohnung nach gutem Essen: Borschtsch mit viel Rindfleisch wartete im Topf, Brote mit Schweineschmalz und Gurken oder Gerstengraupen mit Butter und Salz, ganz typisches ukrainisches Essen. Eine Geste der Dankbarkeit ihrer Gäste, die vor dem Krieg in der Ukraine aus Kiew geflohen sind. Und ein kleiner Kulturschock, als die Vegetarierin Nietmann den Gästen freundlich und in einem Sprachmix aus Englisch, Französisch sowie Gesten mitteilt, dass sie leider gar kein Fleisch esse.

Nietmann hat die 50 Jahre alte Lehrerin Anzhelika Olefirenko und deren Mutter, die 71-jährige Svitlana Shevchenko, geschäftsführende Direktorin des Nationalen Choreografischen Kollegs in Kiew, Anfang März in ihrer 80 Quadratmeter-Wohnung in Frankfurt am Main aufgenommen. Gleich zu Beginn des Ukraine-Kriegs hatte sie sich bei „Elinor“, einem der vielen Netzwerke registrieren lassen, die private Gastgeber für ukrainische Flüchtlinge suchen. In ihrem Arbeitszimmer mit ausziehbarer Gästecouch sei Platz für zwei. Kaum war sie registriert, kam die Anfrage einer Bekannten: Mutter und Oma von Daria Olefirenko, einer in Deutschland lebenden Ballettlehrerin, kämen aus Kiew und bräuchten dringend eine Schlafstatt, in Darias kleinem Appartement sei nicht genug Platz.

Da ist so ein großes Gefühl der Hilflosigkeit.
Sabine Nietmann

Die 34-Jährige sagte sofort zu. „Mir war von Ausbruch des Krieges an klar, dass ich unterstützen möchte.“ Erst spendete sie Geld und half mit Sachspenden. „Da ist so ein großes Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man vor dem Fernseher sitzt und diese schrecklichen Bilder vom Krieg und den vielen Flüchtlingen sieht.“ Die erste Nacht nach ihrer abenteuerlichen fünftägigen Flucht aus Kiew verbrachten die beiden Frauen in Darias Mini-Appartement, am nächsten Nachmittag kamen sie zu Sabine Nietmann. Die musste am Tag darauf für fünf Tage nach Südafrika fliegen, so hatten beide die Wohnung erst einmal ganz für sich. Den Internetzugang richtete sie noch schnell ein, denn das sei im Moment das Wichtigste für die Geflüchteten: den Kontakt mit der Heimat, Freunden und Familie aufrecht zu erhalten. Der 56-jährige Ehemann von Anzhelika ist in der Westukraine geblieben, er will sein Land als Ingenieur mit Erfahrung in der Armee unterstützen. „Wir hoffen nur, dass er überlebt“, sagen die Frauen, während sie am gedeckten Kaffeetisch in Frankfurt sitzen und erzählen, dabei fließen auch Tränen.

„Wir liegen uns oft nur in den Armen“, sagt Sabine Nietmann.
„Wir liegen uns oft nur in den Armen“, sagt Sabine Nietmann. © Rolf Oeser

„Sabine hat uns eine Schulter zum Anlehnen gegeben in dieser schweren Zeit“, übersetzt Daria Olefirenko, die Ballettlehrerin. Sie hat die Flucht von Mutter und Großmutter am Handy verfolgt, Tipps gegeben, die sie im Internet fand, Bekannte von Bekannten über soziale Netzwerke ausfindig gemacht, die helfen konnten mit einer Autofahrt, einem Nachtlager. Krank geworden sei sie von der Angst und Aufregung, konnte vorübergehend gar nicht mehr arbeiten vor Kummer. „Ich konnte einfach nicht mehr atmen“, erklärt die Profitänzerin und Choreographin, die schon am Nationalballett von Litauen getanzt und für das Bolschoitheater in Moskau choreographiert hat. Sie kam vor gut zwei Jahren nach Deutschland, weil ihr Freund hier lebt.

Hauptsache wir hören keine Schüsse mehr.
Anzhelika Olefirenko

Auch bei Behördengängen hilft Sabine Nietmann. „Ich wurde dabei so positiv überrascht von hilfreichen, zuvorkommenden, netten Mitarbeiterinnen, ganz anders, als es oft dargestellt wird.“ Eine Behördenmitarbeiterin habe ihr sogar persönlich gedankt, dass sie sich kümmere. „So schlimm die Situation ist, so schön ist die Menschlichkeit, die überall durchkommt“, sagt sie. Mit ihren Gästen müsse sie gar nicht viel reden, „wir liegen uns oft nur in den Armen und weinen“. Denn zwei Mal am Tag werden die Nachrichten gemeinsam geschaut, die Bilder von Tod und Zerstörung in die Wohngemeinschaft auf Zeit bringen. „Ich habe erst gefragt, ob ich das überhaupt einschalten soll, aber sie wollten gern alles sehen.“ Nietmanns Wohnung liegt an einer Hauptverkehrsstraße mit viel Autolärm und einer quietschenden Straßenbahn. Ob sie Ohrstöpsel und eine Schlafmaske brauchten, fragte die Gastgeberin zu Anfang. „Hauptsache wir hören keine Schüsse mehr“, lautete die bedrückende Antwort.

Ein Dank und Mahnung zugleich – die Farben der Ukraine.
Ein Dank und Mahnung zugleich – die Farben der Ukraine. © Rolf Oeser

Die Erzählung von der schwierigen Flucht bewegt die beiden Frauen noch immer: Erst mit dem Auto, doch die Straßen waren verstopft, dann zwölf Stunden warten auf einen Zug raus aus Kiew, doch der war komplett überfüllt. Mit Auto, Bus, sowie freundlichen Freiwilligen, die sie durch Polen ein ganzes Stück im Privatauto Richtung Tschechien brachten, erreichten sie schließlich Prag, dann Dresden und von dort Frankfurt. Schlafen können sie noch immer kaum. Doch die Hilfsbereitschaft der Deutschen überwältigt sie.

Eine Tanzschülerin von Daria fand eine Bekannte mit leer stehender, möblierter Wohnung, die Miete senkte sie, so dass sie bezahlbar ist. Sie können ihr Glück nun kaum fassen, werden mit Angeboten für Geschirr und Besteck, Wäsche und Kleidung überschüttet. Dabei hatten sie nur Wechselkleidung für einen Tag und ihre Dokumente dabei. Unterwegs und in Frankfurt hätten sie nur überwältigende Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erfahren, immer wieder beteuern beide, wie dankbar sie dafür seien. Die Liebe unter den Menschen sei das, was wirklich zähle in Katastrophen wie dem Krieg, sagt Daria.

Daria Olefirenko besucht ihre Großmutter und ihre Mutter bei Sabine Nietmann.
Daria Olefirenko besucht ihre Großmutter und ihre Mutter bei Sabine Nietmann. © Rolf Oeser

Etwa drei Millionen Menschen sind gegenwärtig in der Ukraine auf der Flucht und es werden täglich mehr. Rund 150.000 von ihnen sind bis Mitte März in Deutschland angekommen. Wer nicht das Glück hat, bei Verwandten, Freunden oder hilfsbereiten Privatpersonen unterzukommen, findet Zuflucht in Schulturnhallen und anderen Hallen, die Städte und Landkreise sehr schnell mit Feldbetten, Decken und Hilfsgütern aus der Bevölkerung eingerichtet haben. Private Netzwerke sind voll mit Hilfsangeboten. Nach dem Auszug der beiden Frauen aus ihrer Wohnung möchte Sabine Nietmann zwei Wochen durchatmen. Danach will sie neue Flüchtlinge beherbergen.

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