Über Europas Werte streiten
Warum es nötig ist, dass Europäer sich selbstkritisch mit ihren Werten und der Zukunft der EU auseinandersetzen.
Deutschland. Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte gelten als europäische Werte – aber wie tragfähig sind diese Werte in der Realität? Die Leipziger Buchmesse und die Robert Bosch Stiftung haben internationale Gäste aus Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Medien zu einem Streitgespräch über Europa eingeladen. Drei Fragen an Mohamed Amjahid, den Kurator des Themenschwerpunkts „Europa21“:
Herr Amjahid, warum ist es nötig, dass wir uns selbstkritisch mit Europa und „den europäischen Werten“ auseinandersetzen?
Wenn „europäische Werte“ exklusiv nur für eine bestimmte Gruppe gelten, ist etwas falsch. Diesen Defekt sichtbar zu machen, ist mir ein Anliegen. Im zweiten Schritt kann man sich fragen: Was sind diese Werte überhaupt? Und herrscht Konsens über ihre Gültigkeit? Es ist gut, über solche Fragen zu streiten, mit sich selbst und mit anderen. Dabei wird hoffentlich klar, wo man steht, was in Europa alles schief läuft und welche Lösungen man für drängende Probleme wie Krieg und Frieden oder die Umverteilung von Wohlstand finden kann. Diesen konstruktiven Streit führe ich jeden Tag als Autor und Journalist. Ich möchte ihn mit „Europa 21“ im Herzen der Leipziger Buchmesse weiterführen.
Die innere Einheit der EU ist durch aufkeimenden Nationalismus und wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd, West und Ost gefährdet. Wie kann es gelingen, die Bindung der Mitgliedsstaaten untereinander zu festigen?
Da glaube ich auch ganz fest an den konstruktiven Streit. Ruhig mit Haltung, aber immer respektvoll. Es ist wichtig, dass sich die Menschen in Europa auch auf rote Linien verständigen können. Die Menschenwürde und Chancengerechtigkeit müssen immer gewahrt bleiben. Es ist mir ein Rätsel wie in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichzeitig so eine Europa-Euphorie (Frieden, Mobilität, Binnenmarkt…) und eine Europaskepsis in Form von Nationalismus parallel gelebt werden.
Manchmal denke ich: Nationalismus ist so dumm! Aber ich möchte auch verstehen, warum ein Europäer oder eine Europäerin eine Partei wie die „Fünf Sterne“ in Italien, die „Alternative für Deutschland“, die Fidesz in Ungarn oder den Brexit wählen würde.
Wie geht es weiter? Wie können Anregungen aus der Veranstaltung „Europa21“ in den gesellschaftlichen Diskurs einfließen und Europa verändern?
Nicht nur Autoren sind Multiplikatoren. Auch das Publikum in Leipzig oder meine Leser tragen die Fragen, Ideen und Impulse aus dem Denkraum hoffentlich weiter – in Schulen, in neue und alte Medien, in den privaten Raum. Ich kann als Journalist, als Buchautor oder als Kurator Europa und die Welt nicht verändern, aber ich kann einen kleinen Beitrag leisten, um ins Gespräch zu kommen. Dieser Beitrag muss aber auch angenommen werden. Als Medienmacher und Kulturschaffender bin ich auf Kooperation angewiesen.
Mohamed Amjahid ist Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Reporter für Europa, Nordafrika und den Nahen Osten und Autor des Buches „Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein“.
Interview: Tanja Zech
Leipziger Buchmesse, 15. – 18.3. 2018
Buchmesse-Programmschwerpunkt “Europa21”