Engagiert für ein Europa der Bürger
In einem Bürgerdialog stellt sie sich Bundeskanzlerin den Fragen der Menschen und erzählt, was ihr Europa bedeutet.
Ein Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern? Ein Austausch auf Augenhöhe? Kann man das von einer Veranstaltung erwarten, bei der die Bundeskanzlerin zum Gespräch bittet? Die Frage kommt schon auf, wenn man an einem frühen Herbsttag in Hannover auf die Ankunft der deutschen Regierungschefin wartet. In der Unternehmenszentrale des Automobilzulieferers Continental herrscht eine etwas angespannte Atmosphäre, als die Bundeskanzlerin eintrifft. Ein Tross von Mitarbeitern und Sicherheitsleuten begleitet Merkel. Schnell werden offizielle Begrüßungsbilder gemacht – und kurz darauf steht die Kanzlerin vor einer Gruppe vor allem junger Leute und sagt: „Jetzt müssen wir aber mal jemanden aus dem Projekt hören.“
Die Gruppe erlebt in Hannover eine Bundeskanzlerin ohne Berührungsängste: zugewandt, entspannt und zugleich konzentriert. Angela Merkel ist zum Zuhören gekommen – und zum Miteinanderreden. Und das nicht nur in Hannover, auch in Berlin und Jena fanden zuvor schon Bürgerdialoge mit Merkel unter dem Motto „Sprechen wir über Europa“ statt. Das „Projekt“, von dem sie in Hannover mehr erfahren möchte, heißt „Experiencing Europe“ und geht auf eine Initiative von Continental zurück; mittlerweile bieten insgesamt acht teilnehmende Unternehmen arbeitssuchenden jungen Deutschen Kurzpraktika im europäischen Ausland an. „Wir wollen ungekannte Jobperspektiven aufzeigen und gleichzeitig für Europa begeistern“, sagt Continental-Personalvorständin Ariane Reinhart. „Das funktioniert am besten durch das persönliche Erle ben von Europa und die Begegnung mit Europäern.“ Davon kann ein Großteil der in Hannover anwesenden jungen Leute berichten.
„Ich kannte Europa nicht“, sagt, etwas schüchtern, ein junger Mann, der seine Praktika bei Continental in Ungarn und Rumänien absolvierte. Ihn hatte die weit vorangeschrittene technische Modernisierung in beiden Ländern überrascht. Eine weitere Teilnehmerin von „Experiencing Europe“ erzählt von ihrer Zeit in Rumänien und dass sie die ungleichen Lohnverhältnisse in Europa beunruhigten. Viele beschäftigt der bevorstehende Brexit und die Sorge, dass Europas Zusammenhalt bröckelt. Wie soll es mit der Europäischen Union und Großbritannien weitergehen? „Freundschaftlich, so eng wie möglich und so eng, wie die Briten das möchten“, antwortet die Bundeskanzlerin.
Solidarität und Zusammenhalt
Der Bürgerdialog der Bundesregierung kann die Probleme der Europäischen Union nicht lösen. Er zeigt aber Politik, die sich nicht selbst genügt, sondern den Austausch mit den Menschen sucht. Fragen der europäischen Einheit standen im Mittelpunkt der Veranstaltungen des Auswärtigen Amts: Wie machen wir die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion krisenfest? Wie geht Europa solidarisch mit Flucht und Migration um? Wie gelingt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik? Auch die Bundeskanzlerin wird grundsätzlich, als sie in Hannover auf die Werte Europas angesprochen wird.
Kontinent der Toleranz
„Demokratie ist mehr, als dass man nur zur Wahl geht und einer gewinnt“, sagt Merkel. „Demokratie bedeutet, dass Minderheiten Rechte haben, dass es unabhängige Gerichte gibt, eine unabhängige Presse.“ Europa ist für Merkel „ein Kontinent der Toleranz“, der auch weiterhin für die ihn prägenden Freiheiten einstehen sollte, von der Meinungs- bis zur Glaubensfreiheit.
Schon beim Bürgerdialog in Jena hatte die Kanzlerin Grundsätzliches zum Thema gemacht. Auch in der Europäischen Union müssten alle Akteure aufpassen, dass sie beim Erhalt des Friedens „nicht leichtfertig“ werden. Als Beispiel für ein nachhaltiges Friedensprojekt nannte sie in Jena die deutsch-französische Zusammenarbeit. Aber auch diese müsse Generation für Generation gepflegt werden. Ohne Engagement gehe es nicht.
Bürger ernst genommen
Abseits der großen Fragen sind es die vielen persönlichen Begegnungen, die für europäischen Zusammenhalt stehen. Der 20 Jahre alte Hasan Ilhan aus Hessen hat kurz nach dem Abitur das Studium abgebrochen. „Experiencing Europe gab mir dann die Möglichkeit, mich zu beweisen“, erzählt er. Er machte zunächst ein Praktikum im tschechischen Jičín und dann in Rambouillet bei Paris. Dort konnte der junge Mann bei der Familie seiner französischen Personalchefin wohnen. Sie war es auch, die ihm eine Empfehlung ausstellte: Erfolgreich konnte sich Hasan Ilhan damit für eine kaufmännische Ausbildung in Frankfurt am Main bewerben.
Wie er den Bürgerdialog erlebt hat? „Es hat mich sehr gefreut, als Bürger von der Bundeskanzlerin so ernst genommen zu werden“, sagt Hasan Ilhan. Ihm haben die Praktika Lust auf mehr gemacht: Er möchte noch viele europäische Kulturen kennenlernen. Hat ihn die deutsche Regierungschefin überzeugt? „Ich vertraue ihr, dass sie sich für Europa einsetzt.“
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