Kanzlerschaft voller Einschnitte
Eurokrise, Ukrainekonflikt, Corona-Pandemie – in Angela Merkels Amtszeit kam vieles zusammen.
Angela Merkel regierte Deutschland in einer Zeit der großen weltpolitischen Krisen. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte, die Turbulenzen um den Euro, der Ukrainekonflikt, die Flüchtlingsdebatte und die Corona-Pandemie, dazu die Dauerkrise ums Klima: Jeder einzelne dieser Einschnitte hätte für eine ganze Kanzlerschaft genügt.
Hinzu kam, dass die Rolle Deutschlands in dieser Zeit wuchs. Die Einführung der europäischen Einheitswährung hatte die Bedeutung des Landes in Europa gestärkt. Der Rückzug der Vereinigten Staaten aus europäischen Angelegenheiten führte dazu, dass Berlin seit der Ukrainekrise eine Schlüsselstellung in den Ost-West-Beziehungen zukam. Und nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wurde Angela Merkel eine Rolle als Anführerin des freien Westens zugeschrieben, die sie selbst nie angestrebt hatte – und die Deutschland allein gar nicht ausfüllen konnte.
Den steten Dialog gesucht
Angela Merkel begann als eine Kanzlerin der Veränderung und beschloss ihre Amtszeit als eine Kanzlerin des Bewahrens. Das galt nicht nur für die inneren Angelegenheiten Deutschlands, sondern ganz besonders auch für die Außenpolitik. Als sie im Jahr 2005 die Regierungsgeschäfte übernahm, setzte sie zunächst auf einen stärker werteorientierten Kurs. Sie verärgerte China, indem sie den Dalai Lama im Kanzleramt empfing, sie schlug einen schärferen Ton gegenüber Russland an. Hingegen war ihr eine Vertiefung der europäischen Einigung, anders als ihrem Vorgänger Helmut Kohl, zunächst kein Herzensanliegen.
Je mehr die Stabilität des liberalen Westens ins Rutschen geriet, desto mehr wurde das Bewahren jedoch zur ersten Politikerinnenpflicht. Zwar blieb ihre kritische Haltung zur Politik Russlands, das sie als frühere DDR-Bürgerin besser kannte als die übrigen westlichen Spitzenpolitikerinnen und -politiker, aber sie suchte zugleich den steten Dialog. In China bewunderte sie die Dynamik und den Aufbruchsgeist des Landes. Sie glaubte, dass der Westen den Wettbewerb der Systeme nicht durch Abschottung bestehen kann, sondern nur dadurch, dass er sich im offenen Wettbewerb behauptet: Das war für sie auch eine Lehre aus dem Zusammenbruch der DDR.
Prinzip der Offenheit
Auch bei der Aufnahme der Flüchtlinge im Herbst 2015 folgte Merkel dem Prinzip der Offenheit. Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, neue Grenzen in Europa zu errichten. Hier handelte sie entschlossener als in der Eurokrise, in der die Kanzlerin anfangs sehr zögerlich reagiert hatte, nicht zuletzt aus innenpolitischen Rücksichten. Mit dem europäischen Wiederaufbaufonds, der eine gemeinsame Schuldenaufnahme vorsah, leistete sie 2020 Wiedergutmachung.
Dass sie sich 2017 überhaupt für ihre vierte und schwierigste Amtsperiode bewarb, hatte vor allem außenpolitische Gründe: Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wollte sie den Eindruck vermeiden, dass nun auch die letzte halbwegs verlässliche Lotsin das Schiff der liberalen Demokratie verließ. In den weltpolitischen Turbulenzen der Jahre seit 2008 stand Angela Merkel für eine Stabilität, nach der sich mancher vielleicht noch zurücksehnen wird.
Ralph Bollmann ist Journalist und Autor. Er veröffentlichte gerade eine umfassende Biografie Angela Merkels.
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