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„Die EU weiterdenken“

Clara Föller ist Deutschland-Vorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten. Warum sie sich engagiert und was ihr im Wahlkampf fehlt.

Interview: Friederike Bauer, 23.09.2021
Clara Föller, Vorsitzende der JEF in Deutschland
Clara Föller, Vorsitzende der JEF in Deutschland © privat

Frau Föller, wofür stehen die Jungen Europäischen Föderalisten und was motiviert junge Menschen zur Mitarbeit?

Wir verstehen uns als Anwalt der europäischen Idee und fördern die Verbreitung des europäischen Gedankens in der Gesellschaft, vor allem unter jungen Menschen. Wir setzen uns für europäische Demokratie und einen europäischen Bundesstaat ein, sind überparteilich und überkonfessionell; unseren Verein gibt es seit 70 Jahren. Derzeit zählen die JEF 30.000 Mitglieder in ganz Europa. In den letzten Jahren kamen viele hinzu, die der Brexit oder die Wahl von Donald Trump angetrieben hat. Sie wollen nicht länger von der Seite zuschauen, sondern sich aktiv für internationale Belange einsetzen.

Ist die europäische Idee heute noch sexy?

Auf jeden Fall – sexier denn je. Vielleicht hat sich die Wahrnehmung darüber, was das bedeutet, ein wenig verändert. Die erste Generation der JEF hat vor 70 Jahren noch Grenzzäune eingerissen. Das haben wir hinter uns: Sich innerhalb Europas bewegen zu können – wenn es nicht gerade eine Pandemie gibt –, gehört zur Identität unserer Generation dazu. Wir mögen die Vielfalt, den Austausch mit anderen Europäern. Gleichzeitig ist das Bewusstsein gewachsen, dass diese EU auch viele Schwächen hat, an denen wir arbeiten müssen.

In welcher Verfassung ist Europa Ihrer Ansicht nach derzeit?

Es gibt sicher Erfolge. Die Reaktion auf Corona mit der „Next Generation EU“ und auch der Green New Deal sind zu begrüßen. Gleichzeitig sehen wir, dass in Sachen europäischer Integration seit fast 20 Jahren Stillstand herrscht. Wir hatten Anfang der 2000er-Jahre einen Verfassungskonvent, der gescheitert ist, seither ist nicht viel geschehen. Ein bisschen was hat man im Vertrag von Lissabon zu retten versucht, aber das war nicht der zunächst geplante große Wurf. Ich halte diese Entwicklung für bedauerlich und übrigens auch für gefährlich.

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Was genau fehlt Ihnen?

Dass ein Mitgliedstaat durch ein Veto die Interessen von 26 anderen quasi übergehen und dadurch die EU als Ganzes handlungsunfähig machen kann, ist fatal. Erschreckend sind auch die außenpolitischen Defizite der EU, wie wir zuletzt in der Afghanistan-Krise beobachten konnten. Wir bräuchten dringend ein europäisches Außenministerium. Von der Reform eines gemeinsamen Asylrechts ganz zu schweigen. Was sich an den Außengrenzen der EU abspielt, ist ein Skandal, steht in totalem Kontrast zu den Werten der Union und untergräbt unsere Glaubwürdigkeit in der Welt. Und das sind nur drei Beispiele.

Warum ist dies gefährlich?

Aus zwei Gründen: zum einen, weil wir dadurch international nicht mehr in der Lage sind, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Dabei ist klar, dass die kleinen europäischen Nationalstaaten in einer globalisierten Welt nicht weit kommen. Dass wir Probleme nationalstaatlich lösen könnten, halte ich für ein Hirngespinst. Zum anderen ist die EU meiner Ansicht nach nicht so gefestigt, dass sie nicht auch wieder zerfallen könnte. Beides lässt sich nur verbessern beziehungsweise vermeiden, wenn wir den Reformstau überwinden.

Trotz des Handlungsbedarfs spielt die EU im Bundestagswahlkampf eine untergeordnete Rolle. Ist das auch Ihr Eindruck?

Ja, leider. In den Parteiprogrammen sehen wir ein deutliches Bekenntnis zur EU und zur europäischen Idee, zumindest bei den großen und maßgeblichen Parteien. Die Alternative für Deutschland möchte den Dexit, aber damit ist sie die Ausnahme. Ansonsten gibt es viel theoretische Hinwendung zur EU, die auch mehr demokratische Elemente einschließt. Aber wir spüren das nicht im Wahlkampf. Die Kandidatinnen und Kandidaten präsentieren sich in Bezug auf Europa, wenn das Thema überhaupt vorkommt, sehr pragmatisch und uninspiriert.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Dass die Parteien klar zeigen und auch mitreißend artikulieren, wie und wo wir uns als bevölkerungsreichstes Land in der EU einbringen wollen. Dass wir uns für demokratische Werte einsetzen, die überall auf der Welt unter Druck stehen, auch innerhalb der EU übrigens. Sie haben Polen und Ungarn eben erwähnt. Außerdem wünsche ich mir, dass wir die EU weiterdenken. Deutschland sollte Flagge zeigen, Ideen entwickeln. Unsere europäischen Nachbarn beobachten die Wahl sehr genau. Dass Europa dabei so gut wie keine Rolle spielt, finde ich sehr unangemessen und befremdlich.

Welche Themen müssten stärker zur Sprache kommen?

Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass wir die EU mitdenken, wenn wir über nationale Ansätze sprechen, dass wir immer überlegen, wie wir zusammenarbeiten können mit und in der EU. Was ist hier unsere Rolle? Wo und wie könnten wir andere Staaten mitziehen? Aber auch: Wo können wir von anderen lernen? Das gilt für Themen wie den Klimawandel, aber auch für Fragen im Bereich Soziales, Mobilität, Bildung und so weiter.

Sie sagen, die EU könne auch wieder zerfallen. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?

Ich halte die EU auf jeden Fall nicht für selbstverständlich. Deshalb müssen wir für dieses gemeinsame Projekt Europa mit all seinen Werten hart arbeiten und uns dafür einsetzen. Diese Botschaft hätte ich mir im Wahlkampf gewünscht.

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