„Wir schauen hin und handeln“
Deutschland und seine Außenpolitik 2023 – ein Interview mit Ministerin Annalena Baerbock zu den großen Themen des Jahres.
Frau Ministerin Baerbock, welches sind die zentralen Themen und Aufgaben, vor denen die deutsche Außenpolitik steht?
Jeder Tag, den Russland einen brutalen und menschenverachtenden Krieg in der Ukraine führt, ist ein Tag zu viel voller Leid und Gewalt. Wir werden auch im Jahr 2023 weiter an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen, die nichts anderes als ihre Freiheit wollen. Russlands Krieg hat verheerende Folgen, auch für die Menschen andernorts. Ob in Moldau oder in Äthiopien – der Krieg treibt überall die Preise für Strom und Lebensmittel.
Freiheit wollen auch die Menschen im Iran, wo mutige Frauen und Männer jeden Tag dem Regime trotz aller Brutalität ins Angesicht schauen. Nicht nur dort gilt: In Situationen des Unrechts werden wir uns nicht neutral verhalten, sondern schauen hin und handeln. Indem wir Verbrechen klar benennen, sie sanktionieren und all die unterstützen, die Beweise sammeln, um die Verantwortlichen zur Rechnung zu ziehen.
Im nächsten Jahr werden wir auf dem Teilerfolg der COP27 aufbauen und ein neues Kapitel der Klimapolitik schreiben: Jene Länder, die viel Treibhausgas ausstoßen, sollen in einen Fonds einzahlen, damit Schäden und Verluste ausgeglichen werden. Staaten wir Tschad oder Palau leiden unter der Klimakrise, obwohl sie nicht daran schuld sind. Das ist nicht gerecht. Aber auch alles Geld der Welt wird in einer 2,5-Grad-Welt nicht helfen. Die globalen Emissionen müssen dringend runter, um das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten.
Welche Weichenstellungen sind im Jahr 2023 notwendig?
Das Jahr 2022 hat uns auch mitten in Europa verdeutlicht, dass Sicherheit nicht selbstverständlich ist. Der Krieg ist brutal zurück in Europa und führt uns vor Augen: Die sichere Versorgung mit Strom und Wärme fällt nicht vom Himmel. Und gleichzeitig war der Sommer in Europa so heiß wie noch nie und verheerende Waldbrände haben Menschen ihr Zuhause geraubt.
2023 muss daher das Jahr sein, in dem wir zeigen, dass wir die richtigen Schlüsse aus diesen Krisen ziehen. Dass wir die richtigen Weichen für das nächste Jahrzehnt deutscher Außenpolitik stellen. Dazu gehört auch eine Nationale Sicherheitsstrategie, die diesen Namen verdient.
Und dazu gehört, dass wir uns wirtschaftlich breiter aufstellen müssen. Das geht nur, indem wir noch mehr und besser zuhören – vor allem auch unseren Partnern in Afrika, Asien und Lateinamerika sowie im Nahen und Mittleren Osten.
Was muss international auf diesen Feldern passieren – und welche Rolle kann Deutschland dabei einnehmen?
Deutschland ist ein zuverlässiger Partner für alle auf der Welt, die wie wir für ein friedliches Miteinander eintreten. Mehr als 140 Staaten haben in der Generalversammlung der Vereinten Nationen „Nein“ gesagt zu Russlands grausamem Völkerrechtsbruch.
In Zeiten, in denen wichtige Institutionen wie der UN-Sicherheitsrat und die OSZE durch Russlands Veto blockiert sind, kann Deutschland helfen, Koalitionen engagierter Staaten zur Lösung dringender Probleme zusammenzubringen, wie wir es letztes Jahr mit der Moldau-Unterstützungsplattform gemacht haben.
Und gerade unsere Partner in Mittel- und Osteuropa sowie im Baltikum können sich auf Deutschland verlassen. Wir investieren in unsere gemeinsame Sicherheit, in die Verteidigung unseres Bündnisgebietes.
Annalena Baerbock ist deutsche Außenministerin.