Die Zukunft zählt
Polen und Deutschland feiern 30 Jahre „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“. Der gemeinsame Blick geht aber voraus.
Sehr viel besser geht es nicht: Fast zwei Drittel der Menschen in Polen und Deutschland bewerten die Beziehungen der beiden EU-Staaten als gut oder sogar sehr gut. Das ist ein zentrales Ergebnis des „Deutsch-Polnischen Barometers 2021“. Die jährlich erscheinende Studie untersucht die wechselseitige Wahrnehmung der Nachbarn im Herzen Europas. Und die ist in vielen Bereichen überwältigend positiv. Zum Beispiel beim florierenden Handel zwischen den beiden wachstumsstarken Volkswirtschaften, die sogar der Corona-Pandemie erfolgreich getrotzt haben. Aber auch mit dem Stand der Aussöhnung sind Polen und Deutsche zufrieden. Ohnehin sei es besser, sich auf Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren als auf die Vergangenheit, denken rund zwei Drittel der Menschen auf beiden Seiten von Oder und Neiße.
30 Jahre Freundschaftsvertrag am 17. Juni
Die Stimmungslage zwischen den Nachbarn passt also zu den anstehenden Feierlichkeiten. Denn am 17. Juni jährt sich die Unterzeichnung eines Dokumentes zum dreißigsten Mal, das einen etwas sperrigen Titel trägt: Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. In der Kurzform hat sich der Name Nachbarschaftsvertrag durchgesetzt. Die Ausarbeitung des Abkommens war eine Folge der friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa 1989/90. Mit dem Ende des Kalten Krieges erlangten das postkommunistische Polen und das wiedervereinte Deutschland ihre volle Souveränität zurück. In Warschau suchte man sogleich Anschluss an den Westen. Denn das freie Polen strebte dorthin, wo das Land nach dem eigenen historischen und kulturellen Selbstverständnis schon immer hingehörte: in die europäische und transatlantische Staatengemeinschaft.
„Über Berlin nach Brüssel“ war ein Leitsatz
Dabei sollte das vereinte Deutschland helfen. „Über Berlin nach Brüssel“, lautete in den 90er Jahren ein zentraler Leitsatz der polnischen Außenpolitik. Und die Bundesregierung, die anfangs noch in Bonn saß, war zu breiter Unterstützung bereit. Denn zu den zentralen Zielen der deutschen Außenpolitik zählte, nach der Überwindung der nationalen Teilung, die Vollendung der europäischen Einigung. „In vielen Fragen sind wir damals einem besonderen Wohlwollen des Bundeskanzlers [Helmut Kohl] gegenüber Polen begegnet“, erinnerte sich später Jan Krzysztof Bielecki. Der liberale Ökonom war 1991 Regierungschef in Warschau und damit einer der Unterzeichner des Nachbarschaftsvertrags. Schon in der Präambel ist dort die Rede von der „politischen und wirtschaftlichen Heranführung der Republik Polen an die Europäische Gemeinschaft“.
Intensive Zusammenarbeit in allen Bereichen
Diese Idee sei „äußerst erfolgreich“ gewesen, urteilt 30 Jahre später der Historiker Peter Oliver Loew, der das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt leitet. Im Mai 2004 trat Polen gemeinsam mit neun anderen Staaten des mittleren und östlichen Europas der EU bei. Darüber hinaus sei der Vertrag aber auch „von herausragender Bedeutung für das bilaterale Verhältnis gewesen“, sagt Loew. Tatsächlich vereinbarten die Partner in fast allen Politikbereichen eine intensive Zusammenarbeit. Das betraf Wirtschaft, Umwelt, Verkehr, Kultur, Sicherheit und Verteidigung. Das Abkommen rief aber auch einen Jungendaustausch und regelmäßige Regierungskonsultationen ins Leben. Zudem wurden die Rechte der deutschen Minderheit in Polen und der polnischstämmigen Deutschen garantiert.
Wer eine Bestätigung für den Erfolg des Nachbarschaftsvertrags sucht, braucht nur Oliver Hermes zuzuhören, dem Vorsitzenden des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Polen sei ein „Powerhause“ in der EU geworden, sagt er, ein ökonomisches Kraftzentrum. Und auch der Warschauer Regierungschef Mateusz Morawiecki, selbst ein Wirtschafts- und Finanzfachmann, hält den Handel für einen wichtigen Stützpfeiler der deutsch-polnischen Beziehungen: „Das Volumen hat sich seit dem Abschluss des Nachbarschaftsvertrags vor 30 Jahren um das Siebenfache erhöht.“ Ein solches Tempo habe in diesem Zeitraum kaum ein zweiter Handelspartner Deutschlands erreichen können, betont Morawiecki, der sich aber nicht zu lange mit dem Blick zurück aufhalten möchte: „Wir haben noch viele Ziele, die wir gemeinsam erreichen wollen.“
Aktives Jugendwerk und Aktion des Goethe-Instituts
Und das gilt eben keineswegs nur für die Wirtschaftsbeziehungen. So hat das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW), dessen Gründungsdokument parallel zum Nachbarschaftsvertrag am 17. Juni 1991 unterzeichnet wurde, seine Aktivitäten auch in der Corona-Pandemie fortgesetzt. Oft sogar mit noch einmal erhöhtem Engagement. Das meiste lief in Zeiten der Kontaktbeschränkungen zwar online. Aber nach der Devise „Jetzt erst recht“ machte das DPJW auch zusätzliche Fördermittel frei. Ein „Corona-Zuschlag“ sollte helfen, Jugendbegegnungen weiter auch vor Ort stattfinden zu lassen. Damit knüpften die Organisatoren an jene Erkenntnis an, die sich schon in der Präambel des Nachbarschaftsvertrags findet: Die Parteien seien überzeugt, heißt es da, dass „der jungen Generation bei der Neugestaltung des Verhältnisses beider Länder und Völker und der Vertrauensbildung zwischen ihnen eine besondere Bedeutung zukommt“.
Das Projekt „Gute Nachbarschaft – Dobre Sąsiedztwo“ des Goethe-Instituts mit vielen polnischen und deutschen Partnern feiert die deutsch-polnische Freundschaft und das Vertragsjubiläum auf eine ganz besondere Art: mit einer gemeinsamen Wander- und Kajak-Tour sowie tollen Podcasts.