Gegen das Vergessen
Warum Kriege und Humanitäre Krisen oft so schnell aus dem Bewusstsein geraten – und was Hilfsorganisationen dagegen tun.
Ukraine, Jemen, Myanmar – viele Krisen verschwinden irgendwann aus dem Blick der Öffentlichkeit, die Not der Menschen jedoch bleibt. Johann Sid Peruvemba, Vize-Generalsekretär von Malteser International und Vorstand des Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), spricht über vergessene Krisen und humanitäre Hilfe für Menschen in Not.
Herr Peruvemba, wenn wir von „vergessenen Krisen“ sprechen – wer vergisst sie? Nur die Öffentlichkeit oder auch diejenigen, die helfen könnten?
Tatsächlich ist in erster Linie die Öffentlichkeit gemeint, und zum Teil die Politik. Eine andere Gruppe dagegen vergisst die Krisen garantiert nie – die Betroffenen selbst. Die gute Nachricht ist: Es gibt heute weniger vergessene Krisen als früher. Wir haben inzwischen ein weitgehend flächendeckendes humanitäres System – zumindest in der Beobachtung und Analyse. Das heißt nicht unbedingt, dass dort ausreichend geholfen werden kann. Oft ist die Unterstützung schwierig, weil eine Finanzierung fehlt oder es kaum Zugang gibt.
Warum werden Krisen vergessen?
Ich sehe drei typische Gründe . Der erste: Ein anfängliches Entsetzen geht vorbei. Vor allem nach Naturkatastrophen wie Erdbeben ist die Öffentlichkeit zunächst sehr betroffen und die Spendenbereitschaft enorm. Es liegt aber in der menschlichen Natur, solche Krisen nicht dauerhaft wahrzunehmen. Die zweite typische Entwicklung: Aus einer akuten Not wird eine chronische. Dann stellt sich oft eine resignative Haltung ein, nach dem Motto: „Man kann sowieso nichts machen.“ Drittens werden Krisen rasch vergessen, wenn sie keine oder nur eine geringe Auswirkung auf uns selbst haben. Auch der Syrien-Krieg wäre nach einer Weile vergessen worden, wenn es die Flüchtlinge nach Europa nicht gäbe.
Wo gibt es vergessene Krisen?
Zum Beispiel in der Ukraine – dort ist die Situation weiterhin dramatisch, aber man hat sich irgendwie daran gewöhnt. Auch die muslimischen Rohingya in Myanmar leiden nach wie vor stark unter Repression und Verfolgung, doch ihre Not scheint weit weg. Oder nehmen wir den Jemen: Dort haben es selbst die Hilfsorganisationen schwer, weil funktionierende Strukturen fehlen.
Was tun deutsche Hilfsorganisation gegen das Vergessen?
Wir haben mit dem Auswärtigen Amt die Initiative #nichtvergesser gestartet und machen so auf die betroffenen Regionen aufmerksam. Außerdem bitten wir die Geber, einen bestimmten Prozentsatz ihres Budgets für vergessene Krisen vorzusehen. Das ist für humanitäre Akteure ein Anreiz, sich in diesen Ländern zu engagieren.
Was können Bürger tun?
Wer die Hilfsorganisationen finanziell unterstützen möchte, kann seine Spende ohne Zweckbindung übermitteln – so kommt sie auch Menschen in Ländern zugute, die gerade nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen.
Welttag der Humanitären Hilfe am 19. August #NotATarget