Der Gipfel im Schloss
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für den G7-Gipfel im Juni Schloss Elmau reserviert: ein verwunschener Ort im tiefsten Süden Deutschlands.
Gut 1000 Meter über dem Meeresspiegel, saftig grüne Almen, märchenhafte Wälder – und ringsum ragen imposante Berge wie das famose Wettersteinmassiv in den Himmel: Das Hochtal der oberbayerischen Gemeinde Krün, in dem seit 100 Jahren Schloss Elmau thront, ist mit seiner geschützten Alpenflora und Gebirgsfauna ein Paradies für Naturliebhaber, Wanderer und Bergsteiger. Zu den rund 80 000 Gästen, die den Ort jährlich besuchen, zählen natürlich auch Wintersportfans und eine oft betuchte Klientel, die in aller Diskretion im „Luxury Spa & Cultural Hideaway“ von Schloss Elmau eine exklusive Ruheoase sowie multiple Entspannung zwischen Oriental Hamam, Taiji, Yoga und anderen je aktuellen Wellness-Highlights findet. Obendrein sorgt das Fünf-Sterne-Hotel für kulturelle Inspiration. Musiker wie Gidon Kremer oder Martha Argerich darf man im Schloss beim gepflegten Konzertabend ganz nah und live erleben. Neben internationalen Klassikstars und Literaten stehen hier, stets im kleinen Kreis, oft auch Politiker auf der Bühne, 2005 etwa Angela Merkel, noch vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin.
Im Frühsommer 2015 wird das elegante Retreat samt dem unter Naturschutz stehenden Elmauer Alpental zur circa vier Quadratkilometer großen Hochsicherheitszone „ausgebaut“. Denn hoher, ja höchster Staatsbesuch steht ins Haus – aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika. Nachdem Deutschland Mitte 2014 die G7-Präsidentschaft übernommen hat, ist das Land – zum sechsten Mal – Austragungsort des G7-Gipfels am 7. und 8. Juni 2015. Mit der Wahl von Schloss Elmau als Meetingpoint der Staats- und Regierungschefs bietet Deutschland als Gastgeber eine geradezu idyllische Kulisse für die Erörterung der drängenden globalen Probleme und Fragen in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Statt Meeresstrand und Weitblick auf die Ostsee wie beim G8-Gipfel 2007 im norddeutschen Ostseebad Heiligendamm kommen nun also die „Big seven“ der Weltwirtschaft in eine bereits von Natur aus gut geschützte Enklave im tiefen Süden Deutschlands. Außer Wanderwegen führt nur ein mautpflichtiges Sträßchen in den beschaulichen Talkessel. Gleichwohl fordert auch dieser Empfang für die internationalen Spitzenpolitiker und deren große Mitarbeiterstäbe eine Herausforderung der besonderen Art, allen voran für die Bayerische Staatsregierung, die seit Anfang 2014 das Megaevent zusammen mit den zuständigen Bundesministerien maßgeblich vorbereitet. Schon 1975, beim allerersten, von Deutschland und Frankreich initiierten Gipfeltreffen, tagte die Gruppe der damals sechs führenden Wirtschaftsnationen in einem Schloss: im prachtvollen, aus dem 14. Jahrhundert stammenden Château de Rambouillet nahe Paris, in dem schon Ludwig XVI. und Napoleon nicht gerade unbescheiden Hof gehalten hatten. Bis zu seiner Öffnung für Besucher 2009 war es über 100 Jahre lang Sommerresidenz der Staatspräsidenten Frankreichs. Die Idee zum regelmäßigen Gedankenaustausch auf höchster Ebene dachten sich Präsident Valéry Giscard d’Estaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt, so wird überliefert, seinerzeit am trauten Kaminfeuer in Rambouillet aus.
Wer in der Geschichte von Schloss Elmau stöbert, stößt nicht auf baufreudigen bayerischen Hochadel, sondern auf einen kaum reich zu nennenden, aber dafür umso sendungsbewussteren protestantischen Theologen und Philosophen namens Johannes Müller. Finanziert von seiner Gönnerin Elsa Gräfin Waldersee, geborene Haniel, ließ Müller zwischen 1914 und 1916 ein schlossartiges Anwesen in die Elmauer Einsiedelei bauen, just an Stelle jenes Gasthauses, in dem einst Bayernkönig Ludwig II. – Stichwort: Neuschwanstein – zu nächtigen beliebte, bevor er in sein 800 Meter höher gelegenes „Königshaus am Schachen“ kutschiert wurde. Für Prediger Müller und seine damals rasch wachsende Anhängerschaft sollte das Schloss als Refugium asketischer deutscher Innerlichkeit und Freiraum gläubigen Gemeinschaftslebens dienen.
Schon damals wurde neben obligatorischen Tanzabenden die bis heute lebendige Tradition der Kammermusik begründet. Dass Müller in seinen Schriften alsbald auch den Nationalsozialismus verherrlichte, trug ihm nach dem Zweiten Weltkrieg ein Entnazifizierungsverfahren ein. Ergebnis: Das Schloss wurde von der US-Armee beschlagnahmt. Nachdem der Freistaat Bayern das Anwesen seit 1947 als Erholungsheim genutzt hatte, wurde es Anfang der 1950er-Jahre an die Nachkommen des 1949 gestorbenen Schlossgründers zurückgegeben und wieder als Hotel betrieben. Auch die Konzertreihen wurden eifrig wiederbelebt. Zum Beispiel mit Englisch-Deutschen Musiktagen, für die sogar Benjamin Britten und sein Vorzugstenor Peter Pears auf Schloss Elmau gastierten.
Ein gänzlich neuer Wind in den alten Mauern weht freilich erst seit 1997, als der weltgewandte Enkel des Schlossgründers, Dietmar Müller-Elmau, die Leitung des Hauses übernahm. Ebenso aufwendig wie zielstrebig renovierte er Schloss und Ambiente aufs Feinste, richtete mehrere Spas und Restaurants, auch Bibliotheken und Boutiquen ein. Das Kulturprogramm möbelte er mit Weltmusik, junger Literatur und politischen Foren zu aktuellen Themen auf. Immer neue Auszeichnungen der internationalen Hotelerievereinigungen schmücken das Haus seither.
Wie bei früheren Gipfeln erwarten die Veranstalter rund 5000 Journalisten aus aller Welt, für die im Olympia-Eisstadion in Garmisch-Partenkirchen ein Pressezentrum eingerichtet wird. Weit gediehen sind inzwischen allerlei Facelifting-Aktionen und Infrastruktur-Maßnahmen in der Region.
Der für die Gemeinden Krün, Mittenwald und Wallgau aktive Marketingverbund „Alpenwelt Karwendel“ hofft mit dem Gipfel-Event natürlich auf nachhaltige Ankurbelung des Tourismus. Am hoch zuverlässigen digitalen Breitbandnetz, unabdingbar für ein Mammutereignis der Größenordnung G7-Gipfel, werden im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wohl noch viele Kilometer Kabel zu verlegen sein. Vor Wintereinbruch wurde bereits der Hubschrauber-Landeplatz fertiggestellt, auf dem im Juni – sicher nicht in alphabetischer Reihenfolge – Shinzo Abe aus Tokio, David Cameron aus London, Stephen Harper aus Ottawa, François Hollande aus Paris, Barack Obama aus Washington, Matteo Renzi aus Rom und Angela Merkel aus Berlin in die Elmauer Enklave eingeflogen werden. Unter heftigem, doch mit dem Versprechen auf Rückbau beschwichtigten Protest der Naturschützer wurde dafür kurzerhand ein Wanderparkplatz asphaltiert. ▪