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Sichere Navigation in der Ostsee

Das europäisches Gemeinschaftsprojekt ORMOBASS schützt Schiffe vor falschen GPS-Signalen. 

Ralf Isermann Ralf Isermann, 29.11.2024
Ein Schiff in Küstennähe
Sichere Navigation ist besonders wichtig in Landnähe. © picture alliance/sulupress.de

Was genau passierte mit der Marco Polo? Im Oktober 2023 lief die Passagier- und Autofähre der deutschen Reederei TT-Line vor der südschwedischen Ostseeküste auf Grund. Und auf derselben Fahrt auch noch ein zweites Mal. Das Unglück ließ viele Verantwortliche in der Schifffahrt aufhorchen. Ein Schiff, das zweimal kurz hintereinander auf Grund fährt, ist eine kuriose Seltenheit. Nach einer umfangreichen Untersuchung steht fest, dass die Schiffsoffiziere sich entgegen den Vorschriften nur auf ihr Navigationsgerät verließen – und von diesem getäuscht wurden. 

Dies funktionierte zwar, zeigte aber eine nur berechnete und nicht die wirkliche, von Wind und Strömung beeinflusste und vom GPS überprüfte Position des Schiffes an. Die Marco Polo fuhr also tatsächlich auf einer anderen Route, als die Schiffsoffiziere dachten. Verletzt wurde von den 71 Menschen an Bord zwar niemand, dafür war der Schaden für das empfindliche Ökosystem Ostsee umso schlimmer: Das 30 Jahre alte Schiff verlor nach schwedischen Angaben 25.000 Liter Schweröl.

Möglicherweise hätte ein anderes Navigationssystem das Unglück verhindern können. Daran arbeitet das Projekt ORMOBASS, eine 2024 gestartet Kooperation mehrerer Ostsee-Anrainerstaaten im Rahmen des EU-Programms Interreg Baltic Sea Region – darunter Deutschland und Polen (NavSim Poland Ltd.), Schweden, Finnland, Estland und Norwegen. R-Mode, so der Name der neuen Technologie, soll die Schifffahrt bei Empfangsstörungen des Global Navigation Satellite System (GNSS) unterstützen. Es basiert auf terrestrischen, also satellitenunabhängigen Sendern, die im Abstand von 200 bis 300 Kilometern entlang der Ostseeküste positioniert sind. Der größte Teil auf Festland, aber auch auf den beiden Ostseeinseln Gotland (Schweden) und Bornholm (Dänemark) befinden sich Sender.

Gezielte Manipulationsversuche

Die Störung von GNSS-Signalen kann verschiedene Ursachen haben, erklärt ORMOBASS -Projektmanager Stefan Gewies, der beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das auch die Projektleitung innehat, in Neustrelitz unter anderem für Nautische Systeme zuständig ist. „Das können zum einen natürliche Effekte in der Atmosphäre sein oder aber bewusst oder unbewusst vom Menschen erzeugte Störsignale.“ Vor allem die bewussten Störungen hätten dabei im Ostseeraum zugenommen – insbesondere in der Nähe zu Russland, so der Experte. Daten dazu sammelt auch das Bundesverkehrsministerium (BMDV). „Seit Dezember 2023 werden sporadisch aus dem nordöstlichen Bereich des deutschen Luftraums Störungen der vom Satellitennavigationssystem Global Positioning System (GPS) ausgestrahlten Navigationssignale gemeldet“, teilte es kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit. Ähnliches könne man laut Gewies im Mittelmeerraum nahe Israel oder am Suezkanal in Ägypten beobachten.

Passend zu den Sendern werden für das R-Mode-System auch neuartige Empfänger entwickelt. „Unser Entwicklungsziel ist ein Navigationsempfänger, der sowohl die Satellitensignale als auch die R-Mode-Signale gleichzeitig verarbeiten kann“, sagt der DLR-Experte. Werden R-Mode- und GNSS-Signale gleichzeitig empfangen, lässt sich auch überprüfen, ob die Satellitensignale wirklich unverfälscht sind. Denn falsche Signale zu senden, ist eine Methode der gezielten Störung. Diese auch als „Spoofing“ bezeichnete Sabotage-Technik kann dramatische Folgen haben. „Die Kapitäne vertrauen häufig ihrem elektronischen Navigationsequipment und fahren unter Umständen auf falschem Kurs. Das kann zu Kollisionen führen oder dazu, dass ein Schiff auf Grund läuft“, erklärt Gewies.

Dabei ist die Resilienz gegenüber solchen Manipulationsversuchen nur eines der Ziele von ORMOBASS. Die GPS-Alternative soll auch bei der Umsetzung der zunehmenden Automatisierung der Schifffahrt helfen. „Gerade hier braucht es eine möglichst große Vielfalt von Navigationssignalen, um die Positionen eines Schiffs kontinuierlich und mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen“, sagt Gewies. 

Europaweite Zusammenarbeit

Ormobass kann und soll auch dabei helfen, die Zusammenarbeit der Länder im Ostseeraum zu stärken. Die maritimen Verwaltungen – also zum Beispiel Schifffahrtsämter – können und sollen in dem Projekt lernen, reibungslos und effizient zusammenzuarbeiten. Denn für die Qualität und Verfügbarkeit der R-Mode-Signale ist ein enges Zusammenwirken wichtig. Beteiligt sind die maritimen Verwaltungen von Deutschland, Schweden, Finnland und Estland. Dazu kommen aus Deutschland, Polen und Schweden Forschungsinstitute und außerdem private Firmen aus Deutschland, Schweden, Polen und Norwegen.

Inzwischen strahlt das Projekt auch über den Ostseeraum hinaus. In Frankreich und den Niederlanden etwa gebe es Interesse an der Technologie, so Gewies. Derzeit läuft das Projekt im Testbetrieb und erstreckt sich vom Nord-Ostsee-Kanal bei Kiel bis nach Gotland. „Wir wollen dieses Testfeld jetzt im aktuellen Projekt nach Finnland und Estland erweitern. Gleichzeitig geht es uns auch darum, die Funktionen zu erweitern und die abgestrahlten Signale zu verbessern“, erklärt der DLR-Experte. Inzwischen gibt es auch Kooperationen mit der dänischen und polnischen maritimen Administration. „Es ist eine Win-win-Situation für alle Seiten. Wir machen wirklich gute Fortschritte. Ich denke, dass wir bis 2030 die Marktreife erreichen werden.“