„EU und ASEAN sind prädestiniert für eine enge Partnerschaft“
Ein Interview mit Botschafter Dr. Peter Schoof über die neuen deutschen Leitlinien für die künftige Politik im Indo-Pazifik.
Herr Botschafter Schoof, die Bundesregierung hat im September 2020 Leitlinien für die künftige Politik im Indo-Pazifik beschlossen. Vorneweg: Welchen Raum verstehen Sie unter Indo-Pazifik?
Als eines von nur wenigen Ländern weltweit hat Deutschland seine zahlreichen, schon existierenden und noch geplanten Maßnahmen im Indo-Pazifik in einem kohärenten politischen Rahmen zusammengefasst. Es ist uns dabei wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um die Leitlinien der gesamten Bundesregierung handelt, die ihren gemeinsamen Willen bekräftigen, sich noch stärker als gestaltender Akteur und Partner im indo-pazifischen Raum zu engagieren und zur Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung dort beizutragen.
Die Bundesregierung versteht unter dem Indo-Pazifik die Gesamtheit des vom Indischen Ozean und vom Pazifik geprägten Raums, in dem strategische Projektionen konkurrieren. Der Indo-Pazifik ist keine Frage der Geografie oder klar definierter geografischer Ausdehnung.
Weitere Länder, die sich konzeptionell mit dem Indo-Pazifik auseinandergesetzt haben, sind unter anderem Japan, USA, Australien, Indien und Frankreich sowie ASEAN als Ganzes mit ihrem „ASEAN Outlook on the Indo-Pacific“. Die Mehrzahl der Konzepte verfolgt einen kooperativen Ansatz gegenüber China. So auch die Leitlinien, die Inklusivität als wichtiges Prinzip betonen.
Die Region umfasst die bevölkerungsreichen und wirtschaftsstarken Länder China, Indien und Japan. Interpretieren wir das richtig, dass ein Hauptaugenmerk auf der Stärkung der Beziehungen zu den ASEAN-Ländern liegt?
Der Indo-Pazifik ist eine für Deutschland und Europa zunehmend wichtige Region - mit großen Chancen für uns, aber auch mit großen, zum Teil globalen Herausforderungen. Politisch arbeiten wir mit vielen Staaten des indo-pazifischen Raums zu vielen unterschiedlichen Themen immer enger zusammen, nicht zuletzt im Rahmen der Allianz für den Multilateralismus, aber auch in anderen Foren wie den G20, G7, den VN und in bilateralen Formaten.
Im Indo-Pazifik liegen einige unserer wichtigsten Handelspartner, wie zum Beispiel China und Japan. Gleichzeitig ist wichtiges Ziel der Leitlinien zum Indo-Pazifik die Diversifizierung unserer Beziehungen in Asien, politisch wie auch wirtschaftlich. Wir wollen darauf achten, wirtschaftlich nicht in einseitige Abhängigkeit von einem einzigen Markt zu geraten. Gleichzeitig schließen unsere Leitlinien keine Partner aus. Vielmehr soll unser inklusiver, alle Partner im Indo-Pazifik einbeziehender Politikansatz der Verfestigung bipolarer Strukturen entgegenwirken.
Die Mitgliedstaaten der ASEAN liegen bereits rein geografisch inmitten des Indo-Pazifiks und sind zudem mit einer Bevölkerung von 560 Millionen Menschen und entsprechender Wirtschaftsstärke zwar kleiner als China und Indien, haben aber ein nicht zu vernachlässigendes Gewicht. Auch in Zukunft werden wir hier ein starkes Wirtschaftswachstum beobachten können und die Bedeutung Südostasiens für den deutschen und europäischen Handel wird weiter zunehmen.
Gleichsam ist ASEAN auch Kern der Indo-Pazifik-Strategien anderer Länder und der von ASEAN selbst 2019 vorgelegte „ASEAN Outlook on the Indo-Pacific“ betont die Zentralität ASEANs in diesem Raum. Wichtig ist uns dabei, dass wir einen fortgesetzten Austausch mit ASEAN und ihren Mitgliedstaaten führen und keine davon losgelöste Politik über ASEAN hinweg betreiben.
Sie waren lange Jahre bei der Ständigen Vertretung in Brüssel: Ist nicht die ASEAN prädestiniert für eine enge Partnerschaft mit der EU?
Mein beruflicher Werdegang hat es mir ermöglicht, gleich mehrmals zu Themen der Europäischen Union zu arbeiten: Ich war zwei Mal, einmal als Referent für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, später dann als Pressesprecher bei der Ständigen Vertretung bei der EU in Brüssel, danach habe ich das Referat für Grundsatzfragen der EU im Auswärtigen Amt geleitet und war anschließend Beauftragter für die bilateralen Beziehungen zu den EU-Mitgliedstaaten.
Die Europäische Union und der Verband Südostasiatischer Nationen sind die weltweit am weitesten entwickelten Regionalorganisationen und als solche bereits prädestiniert für eine enge Partnerschaft. Aus diesem Grund ist die EU auch bereits seit 43 Jahren Dialogpartner ASEANs und hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit den ASEAN-Mitgliedstaaten beschlossen, die Beziehungen auf die Ebene einer strategischen Partnerschaft anzuheben. Auch freuen wir uns, dass neben Deutschland nun auch die EU-Mitgliedstaaten Frankreich und Italien Entwicklungspartner ASEANs geworden sind.
Deutschland unterstützt nachdrücklich die Bestrebungen der EU, strategischer Partner ASEANs zu werden. Hierfür setzen wir uns als EU-Ratspräsidentschaft derzeit stark ein. Die bilateralen Freihandelsabkommen – mit Vietnam und Singapur sind sie bereits abgeschlossen, mit Indonesien hoffen wir im kommenden Jahr zum Abschluss zu kommen – setzen einen erheblichen Impuls, von dem beide Seiten profitieren werden. Perspektivisch streben wir auch ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und ASEAN insgesamt an. Sehr erfreulich verlaufen gerade die Verhandlungen zum Comprehensive Air Transport Agreement (CATA) der EU mit ASEAN. Dieses Luftverkehrsabkommen zwischen zwei Regionen wird das erste seiner Art weltweit.
Die Beziehungen zu ASEAN sollen gestärkt werden, mit China und Indien pflegt Deutschland sogar Regierungskonsultationen, aber ein bedeutendes Land scheint nicht ganz oben auf der Agenda zu stehen: Japan. Und das, obwohl es in vielerlei Hinsicht der ideale Partner für Deutschland wäre.
Mit unserem Wertepartner Japan verbindet uns seit vielen Jahren eine enge Freundschaft. Im nächsten Jahr begehen wir den 160. Jahrestag der bilateralen Beziehungen. Mit Japan gibt es bereits seit vielen Jahren bilateral, im EU-Rahmen und multilateral regelmäßigen Austausch und auf allen Ebenen viele etablierte Formate. Das heißt aber nicht, dass wir diese engen Beziehungen in manchen Bereichen nicht noch ausbauen könnten, übrigens auch durch gemeinsame Projekte im ASEAN-Raum; insofern sind die Leitlinien auch ein starkes Signal an Japan.
Der japanische Außenminister Motegi hat sich übrigens bereits mit Minister Maas zu den Leitlinien ausgetauscht. Japan hat die deutschen Indo-Pazifik-Leitlinien ganz ausdrücklich begrüßt und auch als Zeichen unseres Willens eines stärkeren Engagements in der Region gewürdigt.