Mit Open Source gegen Landminen
Der 4. April ist Internationaler Tag der Minenaufklärung. Wie deutsche Forscher Kolumbien dabei helfen, sich von einer tödlichen Bedrohung zu befreien.
Deutschland unterstützt Kolumbien bei der Gestaltung des Friedensprozesses – auch durch die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung. Ein bleibendes Problem des jahrzehntelangen Konflikts sind die vielen, noch immer im Boden versteckten Landminen. Ingenieure deutscher Universitäten entwickeln gemeinsam mit lateinamerikanischen Partnern einen mobilen Detektor, der Minen ganz unterschiedlicher Bauart erkennt. Die Technik wird frei zugänglich sein. Wie sie funktioniert und welche Hürden es gibt, erklärt Projektleiter Christoph Baer von der Ruhr-Universität Bochum.
Herr Baer, Kolumbien ist von Landminen besonders stark betroffen – warum?
Die Landminen sind aus dem bewaffneten Konflikt übrig geblieben, der mehr als 50 Jahre andauerte. In den letzten 15 Jahren sind über 10.000 Kolumbianer auf solche Minen getreten und wurden dabei verletzt oder getötet. 2016 lag das Land in den globalen Statistiken über die Opfer von Landminen auf dem sechsten Platz – hinter Ländern wie Afghanistan oder Syrien. Das Besondere an Kolumbien ist, dass es sich nicht um einen klassischen militärischen Konflikt zwischen Streitkräften handelte. Es war ein Guerillakonflikt, weshalb es keine industriell gefertigten Landminen gibt, sondern vornehmlich selbst gebaute. Sie sind sehr unterschiedlich. Die Guerillabewegung hilft zwar heute bei der Suche, aber niemand weiß genau, wo überall Minen liegen.
Wie kann man sich solche Landminen vorstellen?
Sie sind oft erschreckend simpel gebaut, meist aus Gegenständen des alltäglichen Lebens. Sie bestehen aus einem Container, der den Sprengstoff enthält – entweder eine Dose oder Plastikflasche. Der Sprengstoff selbst stammt oft aus dem Bergbau. Außerdem gibt es einen Zünder – das einzige industriell hergestellte Teil an den Landminen. Damit die Mine aktiviert wird, braucht es zudem eine Vorrichtung, die beim Betreten zwei Metallkontakte zusammenführt. So wird die Sprengung ausgelöst. Dafür verwendete man oft Spritzen oder Schwämme.
Warum ist es so schwer, gerade diese Minen aufzuspüren?
In Osteuropa oder Afrika ist es schon schwer genug, aber dort sind sich die Minen weitgehend ähnlich. Sobald ich die Detektionsverfahren einmal auf sie abgestimmt habe, funktioniert die Erkennung gut. In Kolumbien ist das nicht so. Bislang arbeitete das kolumbianische Militär mit konventionellen Metalldetektoren. Da auf Feldwegen oder Straßen aber viel Schrapnell und andere Abfälle vergraben liegen, schlägt der Detektor ständig Alarm – von 2.000 Objekten, die gefunden werden, ist durchschnittlich nur eines eine Landmine. Es gibt auch speziell ausgebildete Experten, die Landminen mit Bodenradargeräten aufspüren, aber ihre Ausbildung ist sehr aufwändig. Bei der Vielzahl der Minen ist es zudem nicht realistisch, überall solche Experten einzusetzen. Unser Ziel ist es daher, eine automatisierte, mobile Lösung zu erforschen, die keine spezielle Ausbildung erfordert und flexibel ist. Ein weiteres Problem in Kolumbien ist nämlich, dass die Minen oft in dicht bewachsenen Wäldern oder im gebirgigen Hinterland liegen. Daher möchten wir eine Lösung in der Größe von Metalldetektoren und nicht ein Gerät, das auf Fahrzeugen installiert werden muss.
Sie arbeiten gemeinsam mit Partnern der Technischen Universität Ilmenau, der Universidad de los Andes und der Universidad Nacional de Colombia in Bogotá. Welche Ansätze verfolgen Sie?
Wir nutzen eine hochauflösende Radartechnik und suchen nach bestimmten Signalmustern, die die Minen trotz ihrer Unterschiede gemeinsam haben – Resonanzen, die andere Objekte nicht aufweisen. Dafür nutzten wir die Daten des kolumbianischen Militärs, das die bereits gefundenen Landminen katalogisiert. Wir haben verschiedene Minen für Labortests in einer ungefährlichen Variante nachbauen können, so dass sie der Radarsignatur der echten Minen sehr nahe kommen. Außerdem simulieren wir die Minen am Computer, um zum Beispiel herauszufinden, wie sich die unterschiedliche Erdoberfläche auf das Signal des Radars auswirken kann. Die Minen sind meist bis zu 30 Zentimeter tief vergraben. Als Forscher können wir selbst kein fertiges Produkt herstellen, aber wir möchten die Basis für einen Detektor bereitstellen – sowohl Hardware-Prototypen als auch die Algorithmen, um die Signale auszuwerten. Wir müssen zum Beispiel die Bewegungen des Nutzers berücksichtigen, wenn er das Gerät über den Boden führt. Unsere Arbeit wird als Open Source und somit patentfrei veröffentlicht. Wir wollen humanitär arbeiten und nicht auf Profit zielen.
Bei der Zusammenarbeit entsteht auch ein Wissenstransfer. Wie sieht der aus?
Wir haben zum Beispiel ein mehrkanaliges Bodenradargerät nach Kolumbien gebracht sowie eine spezielle Antenne für die erforderliche Radartechnik entworfen. Die Testmessungen an unseren Nachbauten finden in Kolumbien statt. Aber bei der Kooperation geht es nicht nur um die Forschung. Wir haben mit der Universidad Nacional eine Vereinbarung zum Austausch von Studierenden und Doktoranden getroffen. Dieses Jahr biete ich in Bogotá auch eine „Summer School“ in Radartechnik an. Der Kurs dauert zwei Wochen, ist uni-übergreifend und kostenlos. Die Landminen werden Kolumbien noch über Jahrzehnte beschäftigen – wir hoffen, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, diese Zeit zu verkürzen.
Das Gespräch führte Boris Hänßler.
Internationaler Tag der Minenaufklärung am 4. April