Nach dem Aus für Jamaika
Wie geht es weiter in Deutschland, nachdem die Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen gescheitert sind? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum hat Deutschland acht Wochen nach der Bundestagswahl noch keine Regierung?
Die FDP hat die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen über eine Jamaika-Koalition nach vier intensiven Wochen am späten Abend des 19. November abgebrochen. Mehr als 237 Punkte, darunter „zentrale Fragen“, seien bis zum Ende noch strittig gewesen, sagt die FDP. Die anderen Verhandlungspartner sahen das anders. Dennoch: Ohne FDP keine Jamaika-Koalition.
Wie handlungsfähig ist die Regierung derzeit?
Die Kanzlerin und die Minister sind geschäftsführend eingesetzt und haben damit rechtlich gesehen dieselben Befugnisse wie eine „regulär“ im Amt befindliche Regierung. Bislang war es allerdings Praxis, in dieser Zeit keine weitreichenden Entscheidungen zu treffen, die eine nachfolgende Bundesregierung binden würden. Bei wesentlichen Entscheidungen aber muss der Staat ohnehin per Gesetz handeln, das heißt, er braucht eine Mehrheit im Parlament.
Das Grundgesetz beantwortet die Frage, was passiert, wenn es dem Parlament nicht gelingt, bis zum Jahresende einen Haushalt für das nächste Jahr aufzustellen. Nach Artikel 111 darf die Bundesregierung „alle Ausgaben leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen“. In jedem Fall bleibt die Bundesregierung vollständig handlungsfähig, bis eine neue Regierung gebildet worden ist.
Was sagt Angela Merkel?
Sie hat sich am Montagabend in einem Interview im deutschen Fernsehen ausführlich geäußert: Einer Minderheitsregierung stehe sie skeptisch gegenüber. Sie halte Neuwahlen für den besseren Weg und stünde als Kandidatin zur Verfügung. Sie habe vor einem Jahr erklärt, dass sie für eine weitere Amtszeit kandidiere, „da wäre es etwas komisch“, wenn sie den Wählerinnen und Wählern zwei Monate nach der Wahl plötzlich sagte: „Das gilt nicht mehr.“
Was ist der Nachteil einer Minderheitsregierung?
Minderheitsregierungen sind harte Arbeit. Die Regierung müsste sich zu jeder Entscheidung neue Mehrheiten im Parlament suchen, weil sie keine eigene Mehrheit hat. Ein mühsames Unterfangen, das viel Diskussions- und Kompromissbereitschaft verlangt. Angela Merkel aber schätzt Stabilität und Berechenbarkeit – im Falle einer Minderheitsregierung wäre dies nicht gegeben. Auf Bundesebene gab es dies in Deutschland bisher nur für sehr kurze Zeit und im Ausnahmefall, etwa nach dem Ende einer Koalition, eine Minderheitsregierung.
Was passiert als nächstes?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Montag in einer Ansprache angekündigt, mit allen Parteichefs sprechen zu wollen – auch mit der SPD, die bisher eine Weiterführung der Großen Koalition, wie sie in den vergangenen vier Jahren bestanden hat, ablehnte. Er erwarte „von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen“, sagte Steinmeier.
Wenn es doch Neuwahlen gibt, wie funktioniert das?
Bundespräsident Steinmeier muss dem Bundestag auf jeden Fall einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Kanzlerwahl vorschlagen. Stimmt das Parlament diesem Vorschlag im ersten Wahlgang nicht mit absoluter Mehrheit zu, kann es innerhalb der folgenden zwei Wochen zu weiteren Wahlgängen kommen, bei denen ebenfalls die absolute Mehrheit erforderlich wäre. Erst wenn hier auch keine Entscheidung fällt, müsste ein Wahlgang folgen, bei dem auch eine einfache Mehrheit bei der Kanzlerwahl zu einer Entscheidung führt: Der Bundespräsident könnte dann den Gewählten zum Bundeskanzler einer Minderheitsregierung ernennen. Alternative: Er kann den Bundestag auflösen und damit Neuwahlen herbeiführen. Diese müssten dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Und was sagen die Deutschen?
Eine Blitzumfrage des ARD-Deutschlandtrends ergab, dass 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bedauern, dass eine Jamaika-Koalition nicht zustande gekommen ist. Sollte auch keine große Koalition möglich sein, sind 63 Prozent der Befragten für Neuwahlen. Für eine Minderheitsregierung sprachen sich 29 Prozent aus.