Neue Bedeutung für den Ostseerat
Deutschland stand für ein Jahr an der Spitze des Ostseerats. Zentrales Thema der Präsidentschaft war der Ausbau der Windenergie in der Ostsee.
Wenige Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine übernahm Deutschland im Juli 2022 für ein Jahr den Vorsitz des Ostseerats, der seit drei Jahrzehnten die Zusammenarbeit der Ostsee-Anrainerstaaten stärken soll. Der Krieg überschattete auch die deutsche Präsidentschaft in diesem Gremium. Bevor der Vorsitz im Juni endet, kommen die Außenministerinnen und Außenminister der Mitgliedsstaaten noch einmal in der Hansestadt Wismar im Norden Deutschlands zusammen. Ein zentrales Thema auch dieses Treffens ist der Ausbau der Offshore-Windenergie in der Ostsee.
Gründung des Ostseerats nach Ende des Kalten Kriegs
Der Rat wurde 1992 auf deutsch-dänische Initiative gegründet. Das Ziel: Wenige Jahre nach Ende des Kalten Kriegs sollte ein Raum für eine regionale Zusammenarbeit der westlichen und östlichen Anrainerstaaten geschaffen werden. Der zwischenstaatlichen Organisation gehören heute zehn Mitgliedsstaaten und die Europäischen Union an. Mitglieder sind neben Deutschland und Dänemark auch Norwegen, Estland, Finnland, Litauen, Lettland, Polen, Schweden und Island.
Am 1. Juli 2022 übernahm Deutschland den Vorsitz der Gruppe und setzte sich für die folgenden zwölf Monate drei Prioritäten: die Förderung von Offshore-Windenergie, die Intensivierung von Jugendbegegnungen und die Beseitigung von Munitionsaltlasten in der Ostsee.
Aussetzung der Mitgliedschaft und Austritt Russlands
Auch Russland gehörte früher dem Ostseerat an. Die übrigen Mitgliedsstaaten beschlossen aber schon wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die Mitgliedschaft Russlands auszusetzen. Im Mai 2022 trat Russland aus dem Rat aus.
Die Ostseerat-Mitgliedsstaaten Schweden und Finnland beschlossen zugleich als Reaktion auf den russischen Angriff, der Nato beitreten zu wollen. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock erklärte Ende Mai 2022 wenige Wochen vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft: „Gerade auch im Ostseeraum, wo wir über Jahrzehnte auf einen Dialog mit Russland und regionale Zusammenarbeit gesetzt haben, gibt es nun eine sicherheitspolitische Zäsur. Dass Schweden und Finnland jetzt den Schritt in die Nato machen, war nie geplant – aber Russland hat ihnen keine andere Wahl gelassen.“
Ausbau der Offshore-Windenergie in der Ostsee
Ein zentrales Anliegen der Bundesregierung ist der Ausbau der Windenergie im Ostseeraum, der zur Energiewende in Deutschland und in Europa beitragen soll. Außenministerin Baerbock bezeichnete das Meer bei einem Windforum im Mai 2023 in Berlin als „Schatz für grüne Energie“. Die Europäische Kommission schätze die Kapazität für Windenergie in der Ostsee auf mehr als 93 Gigawatt. Das entspreche der Leistung von etwa 90 Kernkraftwerken durchschnittlicher Größe.
Für Baerbock ist der Ausbau der Windenergie auch sicherheitspolitisch entscheidend, weil damit Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen wie Öl oder Gas reduziert werden. Jede gebaute Windturbine sei „eine Investition in unsere Sicherheit, denn die Umstellung auf grüne Energie macht uns unabhängiger von Öl, Kohle und Gas aus Ländern, auf die wir uns nicht immer verlassen können“, sagte Baerbock.
Jugendbegegnungen und Munitionsräumung
Noch immer liegen auf dem Meeresboden der Ostsee bis zu 400.000 Tonnen konventioneller Sprengstoff und rund 40.000 Tonnen chemische Waffen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs versenkt wurden. Deutschland engagierte sich während seiner Ratspräsidentschaft dafür, regionale Kooperationen im Kampf gegen diese Bedrohung für die Umwelt und das Leben im Meer zu stärken. Die Bundesregierung setzte sich zudem dafür ein, die persönlichen Begegnungen von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern des Ostseeraums auszubauen.