„Europa neu denken“
Politologe Franco Delle Donne übers Bloggen zu deutscher Politik, kulturelle Unterschiede zu Argentinien und die Europawahl 2019.
Herr Delle Donne, wie sind Sie darauf gekommen, über die politische Situation in Deutschland auf Spanisch zu bloggen?
Das fing 2013 im Rahmen der Bundestagswahl an. Ich startete einen Blog über politische Kommunikation im Wahlkampf. Zunächst war das eher für Familie und Freunde in Argentinien gedacht. Dann wurden viele Medien in spanischsprachigen Ländern darauf aufmerksam und meldeten sich bei mir. Langsam hat sich der Fokus des Blogs von politischer Kommunikation zu politischer Analyse verschoben.
Was ist der größte Unterschied zwischen der politischen Kultur in Deutschland und in Argentinien?
In Deutschland gibt es ein hohes Bedürfnis nach Stabilität, das System spiegelt das wider. Im Vergleich dazu denken Argentinier eher kurzfristig, auch bedingt durch die unsichere Lage des Landes. Zur Zeit herrscht beispielsweise starke Inflation. Es ist schwierig, langfristig zu planen, wenn man nicht weiß, wie sich die Wirtschaft innerhalb der nächsten Monate entwickeln wird. Deshalb leben die Menschen eher von Tag zu Tag. Hinzu kommt das präsidentielle Regierungssystem, durch das weniger politischer Dialog entsteht. In Deutschland müssen Parteien miteinander sprechen, um Koalitionen bilden zu können.
Haben Sie eine Prognose für die anstehenden Europawahlen in Bezug auf Deutschland?
Die Europawahlen waren immer ein Mittel, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Viele Leute wählen andere, kleinere Parteien. Dieses Mal sagen die Umfragen, dass die Umweltpartei Bündnis90/Die Grünen und die rechtspopulistische AfD im Vergleich zur Wahl 2014 deutlich mehr Stimmen erhalten werden. Auch in anderen Ländern werden die Rechtspopulisten vermutlich stärker ‒ viele Prognosen deuten an, dass es eine große Fraktion dieses Spektrums geben wird. Wobei ich nicht weiß, ob eine Zusammenarbeit dieser Parteien möglich wäre. Aber ich glaube, dass es das Ende einer Ära ist: Die Proeuropäer müssen Europa nun wirklich neu denken. Wir müssen Europa für neue Generationen und mit Blick auf aktuelle Probleme umdenken und anders kommunizieren. Ich hoffe, das wird nach der Wahl gelingen.
Sie wohnen seit 2010 in Deutschland. War es eine große Umstellung für Sie, hierher zu ziehen?
Ja, natürlich. Meine Frau ist Deutsche. Wir haben zunächst zusammen in Argentinien gelebt, dann in Madrid, anschließend in Berlin. Als ich von Argentinien nach Spanien geflogen bin, dachte ich, es wird dort so ähnlich sein. Aber das war absolut nicht der Fall. Als wir nach Berlin zogen, wusste ich von vornherein, dass alles anders wird: von der Sprache, über die Kultur bis hin zum Klima. Diese Umstellung war viel einfacher für mich, weil ich nicht erwartet habe, dass es einfach wird. Berlin ist außerdem sehr offen für neue Leute. Heute leben wir mit unseren Kindern in einer kleinen Stadt in Bayern. Ich hatte Bedenken, dass mir als Großstadtkind dort alles zu eng ist. Doch im Gegenteil: Für mich ist das Leben in Bayern viel einfacher: langsam, aber bequemer.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Es gibt für mich zwei wichtige Projekte dieses Jahr. Zusammen mit Andreu Jerez, mit dem ich 2017 bereits ein Buch über die AfD veröffentlicht habe, schreibe ich ein Buch über rechte Parteien und Bewegungen in ganz Europa. Wir haben 15 Journalisten und Politologen dafür gewonnen, jeder schreibt ein Kapitel über ein Land. Das wird Menschen im spanischsprachigen Raum helfen zu verstehen, was hier politisch los ist. Das Buch wird noch vor der Europawahl im Mai veröffentlicht. Im zweiten Projekt geht es um die Bekämpfung von Hate Speech und die Rolle, die Medien bei ihrer Verbreitung spielen.
Zur Person: Franco Delle Donne ist promovierter Kommunikationsberater und Politologe und betreibt den spanischsprachigen Blog „Elecciones en Alemania“, auf dem er das politische Geschehen in Deutschland analysiert. 2017 veröffentlichte er mit Andreu Jerez das Buch „Factor AfD: El retorno de la ultraderecha a Alemania“.
Interview: Nicholas Czichi-Welzer
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