Populisten auf Stimmenfang
Auch in Deutschland verschaffen sich Populisten Gehör. Wie arbeiten sie, was bedeuten sie für die Demokratie? Ein Politikwissenschaftler antwortet.
Von der global zu beobachtenden Entwicklung populistischer Bewegungen und Parteien ist auch Deutschland nicht verschont geblieben. Populisten greifen Themen auf, die in großen Teilen der Bevölkerung als drängende Probleme wahrgenommen werden. Sie ordnen die Ursachen für diese Problemlagen versagenden politischen und gesellschaftlichen Eliten zu. In Deutschland ist das Entstehen einer inzwischen in allen Landesparlamenten und dem Bundestag vertretenen rechtspopulistischen Partei, der Alternative für Deutschland (AfD), zunächst mit Kritik an der Teilnahme Deutschlands am Euro-Währungsraum verbunden gewesen. Seit der Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten ist die Migrationspolitik das beherrschende populistische Thema.
Populistische Politik hat immer eine sozial-protektionistische Agenda. Dabei geht es um die Zurückweisung ökonomischer und sozialpolitischer Ansprüche der Migranten. Mit der Zuwanderung verbinden sich aber auch kulturelle Auseinandersetzungen. Die Sicherung der eigenen kollektiven Identität rückt ins Zentrum der Debatten, wobei rechtspopulistische Positionen den Verlust einer „abendländischen“ und „deutschen“ Identität beklagen.
Solche Abstiegsängste manifestieren sich in den neuen Bundesländern besonders stark, weil die dortige Bevölkerung mit dem Untergang der durch die Sowjetunion bestimmten ökonomischen und politischen Ordnung nach 1989 und einem entsprechenden wirtschaftlichen Zusammenbruch tiefreichende Veränderungserfahrungen gemacht hat. Die AfD ist deshalb auch in den neuen Bundesländern viel stärker als im Westen.
Aber Populismus steht nicht nur für spezifische Inhalte, sondern auch für eine Formveränderung der politischen Auseinandersetzungen. Es gehört zum populistischen Diskurs, dass er sich vor allem in den sogenannten sozialen Medien wie Facebook und Twitter artikuliert. Die AfD ist die deutsche Partei mit der größten und dichtesten Internetpräsenz. So entstehen Echoräume, in denen nur noch die jeweilige Meinung bestätigt wird. Die Anonymität der Internet-Kommunikation führt darüber hinaus zu einer sprachlichen Aggressionsentladung, die der politische Diskurs in dieser Häufung bis dahin nicht kannte.
In der Wahrnehmung der Populisten fördern die politischen und gesellschaftlichen Eliten die für bedrohlich gehaltenen Entwicklungen und unterbinden gleichzeitig in den traditionellen Medien eine Kritik an ihnen. Daher fordern die Populisten die Entfernung dieser Eliten aus dem Zentrum des politischen Systems, den Medien, Parlamenten und Regierungen. Stattdessen soll ein ethnisch homogenes „Volk“ unmittelbar die Macht ausüben. Der Populismus geht also mit einer radikalen Kritik an der Demokratie und dem repräsentativem parlamentarischen System einher. Populisten fordern einen umfassenden Systemwechsel und öffnen sich damit an ihrem rechten Rand Vertretern rechtsextremer Ideologien, die bestimmte Elemente des deutschen Faschismus und Nationalsozialismus der 1930er- und 1940er-Jahre wieder aufgreifen.
Prof. Dr. Thomas Noetzel lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Marburg.
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