„Zwei grundverschiedene Gesellschaftsmodelle“
Experte Michael Werz veranschaulicht angesichts der US-Präsidentschaftswahl, wie sich die transatlantischen Beziehungen wandeln.
Michael Werz ist Berater für Nordamerika und multilaterale Angelegenheiten der Münchner Sicherheitskonferenz und Senior Fellow am Center for American Progress in Washington. Im Interview spricht er über die Gegensätze der US-Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump, die Bedeutung der US-Wahl für die transatlantischen Beziehungen und den Wandel von Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik.
Herr Dr. Werz, vor welcher Entscheidung stehen die US-Amerikaner bei der Präsidentschaftswahl am 5. November 2024?
Die beiden Kandidaten sind überhaupt nicht miteinander vergleichbar. Sie stehen für zwei grundverschiedene Gesellschaftsmodelle, die auch mit dem Begriff der politischen Polarisierung nur unzureichend beschrieben sind. Es geht nicht darum, dass einerseits konservative und andererseits fortschrittliche Positionen vertreten werden. Das erklärte Ziel des Trump-Lagers ist die „Dekonsolidierung des Staates“, die mit der Zerstörung von rechtsstaatlichen Traditionen einhergeht und an den Grundfesten der amerikanischen Demokratie rührt. Dem steht ein sozialliberales Modernisierungsprogramm der Demokraten gegenüber, das das „E pluribus unum“ („Aus vielen eines“) der amerikanischen Tradition ernst nimmt.
Wenn Donald Trump mit amerikanischen Traditionen bricht: Was würde aus Ihrer Sicht seine Wahl für die transatlantischen Beziehungen bedeuten?
Das ist leider kaum kalkulierbar, ich befürchte aber eine Introversion der USA mit harten innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Außenpolitisch wird es dann weniger um konkrete Positionierungen gehen, sondern vielmehr um einen Abschied Amerikas von der Weltbühne. Ein Abwenden von den europäischen Alliierten wie Deutschland, aber auch von traditionellen Partnern im pazifischen Raum, droht die große globale Unordnung zu verstärken.
Was wäre von Kamala Harris als US-Präsidentin mit Blick auf die internationalen Beziehungen zu erwarten?
Im Gegensatz zu Donald Trump Kontinuität. Kamala Harris ist aktuell schon Mitglied einer Administration, die um den Wert internationaler Abstimmung und Partnerschaften weiß. Natürlich sind von ihr auch Akzentverschiebungen zu erwarten, die nicht zuletzt für Deutschland bedeutsam sind. In Europa wird noch zu sehr übersehen, wie stark sich die amerikanische Bevölkerung verändert und dass das zugleich die stärkere Orientierung der USA nach Lateinamerika und Asien begünstigt.
Könnten Sie das bitte ausführen?
Zusätzlich zu den Kontakten mit den etablierten Akteuren und Institutionen des transatlantischen Austauschs muss Deutschland viel stärker Beziehungen zu den aufstrebenden Minderheiten in Amerika pflegen. Die USA sind mit knapp 70 Millionen Latinos schon heute das Land mit den weltweit zweitmeisten Spanisch sprechenden Menschen. Im Jahr 2050 werden in den USA über 100 Millionen Latinos leben, und bei den asiatischstämmigen Amerikanern erfolgt das Bevölkerungswachstum in relativen Zahlen noch schneller. Das trägt dazu bei, dass sich Amerika stärker Partnern in Lateinamerika und Asien annähern wird. Aber auch in diesem Kontext können Europa und die USA als transatlantische Partner auftreten. Nur ist nicht damit zu rechnen, dass Deutschland und andere europäische Nationen hier unter militärischen Gesichtspunkten eine besondere Rolle spielen. Sie können aber auch im pazifischen Raum als transatlantische Partner Amerikas wirken und wichtige Impulse geben, etwa in der Umwelt-, Wirtschafts-, Handels- und Entwicklungspolitik. Und das sind Punkte, die unter einer Harris-Administration sicherlich stärker in den Vordergrund treten dürften.
Der Wandel der internationalen Beziehungen ist auch im Fokus des Projekts „Nexus25 – Shaping Multilateralism“, das sie als Ko-Direktor leiten. Was sind die thematischen Schwerpunkte des Projekts?
Bei Nexus25 arbeiten das Washingtoner Center for Climate and Security und das italienische Istituto Affari Internazionali zusammen, gefördert durch die deutsche Stiftung Mercator. Wir wollen deutlich machen, dass sich außen- und sicherheitspolitische Diskussionen viel intensiver mit sogenannten Nexusthemen auseinandersetzen müssen, mit dem Zusammenwirken von Klimawandel, Migrationsbewegungen, Fragen der Ernährungssicherheit und regionaler Stabilität. Das erfordert ein völlig anderes politisches und intellektuelles Instrumentarium als die aus der Zeit des Kalten Kriegs erhaltene Zweidimensionalität von West und Ost. Im 21. Jahrhundert ist die Situation nicht nur aus militärischer Sicht viel fluider. Eine scharfe Trennung von Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik macht keinen Sinn mehr. Mit Nexus25 arbeiten wir daran, die geopolitischen Diskussionen entsprechend zu öffnen.