Über Grenzen hinweg zu Hause sein
Ein anderes Land kann zweite Heimat werden, auch wenn man anfangs fremdelt. Zum Deutsch-Französischen Tag erzählen zwei junge Menschen ihre Geschichte.
Seit 2004 feiern Frankreich und Deutschland am Deutsch-Französischen Tag, dem 22. Januar, ihre ganz besondere Freundschaft. Ein junger Franzose und eine junge Deutsche erzählen, wie sie im jeweils anderen Land ein zweites Zuhause fanden.
Sprache schafft Integration: Guillaume Amouret
„Für mich gibt es zwischen Deutschland und Frankreich keine Grenzen mehr.“ Guillaume Amouret ist in der Bretagne geboren, mittlerweile arbeitet er als freier Journalist in Hamburg. Studiert hat Amouret zunächst in Bochum, einer Industriestadt im Ruhrgebiet im Westen Deutschlands – ein ziemlicher Gegensatz zur französischen Küstenregion Bretagne. Kein Wunder also, wenn er sagt: „Das Leben ist für mich in Frankreich ästhetisch schöner“. Dennoch ist er hin- und hergerissen: „Wenn ich in der Bretagne bin, habe ich dieses Gefühl von Gemütlichkeit, andererseits liebe ich auch den Trubel deutscher Großstädte.“ In Bochum, wo er sich für einen deutsch-französischen Bachelorstudiengang in Geschichte einschrieb, zog er in eine Wohngemeinschaft mit Deutschen – und lernte dort die Alltagskultur kennen. Sein Mitbewohner ist Fan des Fußballvereins Schalke 04 und sonntags läuft im TV die Krimi-Serie „Tatort“ – wie in unzähligen deutschen Haushalten. Inzwischen empfindet Amouret Deutschland als zweite Heimat – so sehr, dass er je nach Wohnort sogar die Dialekte übernimmt. Einen großen Unterschied zwischen beiden Ländern sieht er jedoch. Der läge in der Sprache, sagt er augenzwinkernd: „Gendern ist auf Deutsch rein technisch viel einfacher.“
Liebe auf den zweiten Blick: Nora Karches
Nora Karches hat eine besondere Beziehung zu Frankreich. Sie rezensiert als freie Literaturkritikerin französischsprachige Bücher. Und sie reist mehrmals im Jahr nach Frankreich, vergangenes Jahr lief sie einen Teil des französischen Jakobswegs. Die Sprache lernte Karches aber erst richtig im Studium, und das, obwohl ihre Eltern Französischlehrer sind. „Am Anfang habe ich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen überhaupt nicht verstanden, weil sie häufig Umgangssprache verwenden“, erzählt sie von den Anlaufschwierigkeiten in ihrem Auslandssemester in Dijon und später Paris. „Ich werde oft gefragt, warum ich nicht in Frankreich geblieben bin, aber ich habe das immer pragmatisch gesehen, dass ich nie richtig dazugehöre, wenn ich für französische Medien arbeiten möchte“ – der Unterschied zu Muttersprachlern sei doch groß. Karches entscheidet sich nach ihrem Journalismusstudium daher für den Berufsstart in Deutschland – durch ihre Arbeit mit französischer Literatur bleibt sie aber eng mit Frankreich verbunden. Was ihr fehlt: „Ich würde gerne wieder mehr Französisch sprechen.“ Andauernde Praxis in der Alltagssprache hilft vor allem, wenn es bei einer typisch französischen Essenseinladung thematisch komplizierter wird, meint Karches. „Irgendwann kommt dann immer der Punkt, dass man über die Tagespolitik spricht. In Frankreich ist alles viel politischer, wenn es um gesellschaftliche Diskurse geht.“