Wo Regenwald und Savanne sich treffen
Die NGO Instituto Araguaia und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt arbeiten für den Schutz des Ökosystems „Cantão“ in Brasilien.
In der Mitte windet sich der gewaltige Rio Araguaia wie eine mäandernde Grenzlinie zwischen zwei gegensätzlichen Welten: Auf der einen Seite das satte Dunkelgrün des Amazonas-Regenwaldes, auf der anderen das mit Zartgrün durchsetzte Ockergelb der Savanne. So nah kommen sich diese Ökosysteme nur im Cantão, wie dieser Landstrich im Zentrum Brasiliens heißt. Zum Glück. Denn hier flüchten immer öfter Mähnenwölfe oder Ameisenbären in den so nahen Regenwald, wenn die Steppe brennt. Früher passierte das nur, wenn gelegentlich Blitze Feuer auslösten, jetzt brennt es auch dann, wenn illegal Land gerodet wird.
Vor mehr als 20 Jahren haben sich Silvana Campello und George Georgiadis in diese außergewöhnliche Landschaft verliebt, wo in Hunderten von Seen und Flussarmen mehr Fischarten leben als in ganz Europa. Damals haben die beiden Wissenschaftler hier im Auftrag der Regierung des Bundesstaates Tocantins die Idee für den Naturpark Cantão entwickelt, der 1998 geschaffen wurde. Seit 2012 unterstützt sie die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) aus Deutschland bei ihrer Arbeit. Als sie Jahre später in Rente gingen, gründeten sie die NGO Instituto Araguaia und erklärten den Schutz des Cantão zu ihrer Lebensaufgabe. „Wir haben keine Kinder“, erklärt Silvana, „und wir wollen der Erde etwas Positives hinterlassen.“
Der „Cerrado“, wie die brasilianische Savanne heißt, ist einer der wichtigsten Wasserlieferanten Südamerikas und ein Hotspot der Biodiversität mit zahlreichen endemischen Pflanzen. Auf der ursprünglich mehrere Millionen Hektar großen Fläche sind durch landwirtschaftliche Nutzung heute bereits mehr als zwei Drittel der ursprünglichen Landschaft verschwunden. Dadurch schwindet auch die Artenvielfalt. Der überschwemmte Wald des Cantão ist im Gegensatz zum Großteil des Cerrado extrem fruchtbar – und deswegen sehr beliebt bei Agrarunternehmern, die hier Rinder züchten, Soja anbauen und dabei die Gewässer mit Pestiziden verunreinigen. Dabei liegen im Umfeld der Flussinsel Ilha do Bananal unschätzbar kostbare Flächen unberührter Natur, oft auf dem Gelände traditioneller Farmen, die direkt an das 90.000 Hektar große Schutzgebiet grenzen. Die Fläche des Parks wird in der Regenzeit bis zu 88 Prozent zum Teil meterhoch überschwemmt, deswegen brauchen die darin lebenden oft seltenen Tiere auch diese Nachbarfarmen zum Ausweichen. Ornithologen sichteten hier ein Pärchen der Spechtart Celeus Obrieni, von der das letzte Exemplar zuvor 1923 registriert worden war. Jahr für Jahr vermehren sich hier die bedrohten Riesenotter Pteronura brasiliensis, die anderswo nicht genug Fische zur Nahrung finden. Mit dem Pirarucu lebt hier einer der größten Süßwasserfische, und der Araguaia-Flussdelphin ist sogar endemisch.
Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt unterstützte die Arbeit zuerst mit Fachwissen: Silvana Campello und George Georgiadis wandten sich an ZGF-Direktor Christof Schenck, er ist ausgewiesener Spezialist für Riesenotter. Bis heute stellen die Frankfurter dem Institut jährlich Finanzmittel bereit. Damit werden Gehälter der Parkwächter, Löschausrüstung und Treibstoff finanziert. „Es ist außergewöhnlich, dass wir bei einem Projekt kein eigenes Personal involviert haben“, erklärt Antje Müllner, Referatsleiterin Südamerika und Südostasien bei der ZGF. „Aber der Cantão ist ein eher kleines Projekt in unserem Portfolio.“ Alle paar Jahre reist Müllner zu einem Besuch nach Brasilien. „Die riesigen Sojafelder rund um den Naturpark waren schon beim letzten Mal beeindruckend“, sagt die Tropenökologin, „ich bin sehr gespannt, was ich dieses Mal vorfinden werde. Im Naturschutz ist es ja durchaus positiv, wenn sich in zehn Jahren nichts verändert“. Fast schwärmerisch fügt sie hinzu: „Ein Bild des Cantão hat sich mir besonders eingeprägt: wie die Delfine in der Trockenzeit elegant von einem Flachwasserpool zum nächsten springen!“
Über Satellitenaufnahmen identifizierte das Institut Araguaia die unberührten Gebiete, seither nimmt Silvana Campello Kontakt zu deren Besitzern auf. Ihr Ziel: die besonders sensiblen Flächen entweder mit Spendengeld aufzukaufen – oder sie in einer Partnerschaft mit den Farmern in private Schutzgebiete umzuwandeln. Viele Farmer stehen NGOs grundsätzlich skeptisch gegenüber. Andere – zumeist die Generation der Erben – sind offener für Anregungen. „Ein besonderer Glücksfall war unsere Begegnung mit dem Erben einer Rinderfarm, der in der Großstadt lebte, nichts von der Zucht verstand und nicht recht wusste, was er mit dem Erbe anfangen sollte. Als wir ihn aufsuchten, begeisterte er sich gleich für die Idee der Agroforste und des Naturschutzes. Seitdem hat er mit unserer Unterstützung mehr als die Hälfte seiner Farm in das private Naturschutzgebiet Guaira umgewandelt und empfängt in einer eigens errichteten Lodge am Flussufer Ökotouristen.“
Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt ist eine internationale Naturschutzorganisation. Sie wurde 1858 in Frankfurt am Main gegründet und hat zwei Vereinsziele: den Erhalt der weltweiten biologischen Vielfalt und die Förderung des Frankfurter Zoos. Weltweit arbeiten 440 Menschen für 29 ZGF-Schutzprojekte in 18 Ländern.