Ein Gewinn für alle Seiten
Deutschland macht Wege der regulären Migration besser bekannt und unterstützt Fachkräfte bei der Vorbereitung auf ein Leben in Deutschland. Zentren in neun Partnerländern helfen dabei.
Maadi ist ein grüner Stadtteil im Süden von Kairo: Er schmiegt sich vom Osten her an den Nil und besteht zum großen Teil aus ansehnlichen Häusern und baumgesäumten Straßen. Auf Deutsch bedeutet Maadi Fähre – was gut passt zum Zweck des Ägyptisch-Deutschen Zentrums für Jobs, Migration und Reintegration (EGC). Das Zentrum liegt im Herzen von Maadi und hat unter anderem die Aufgabe, Ägypterinnen und Ägypter auf eine Migration nach Deutschland vorzubereiten, sie gewissermaßen an ein anderes Ufer zu bringen. Es befindet sich in einem mehrstöckigen Gebäude, mit einer großzügigen Besucherzone im Erdgeschoss und Büros der Mitarbeitenden darüber.
Vor knapp zwei Jahren begann das EGC mit seiner Arbeit, die zunächst wegen der Corona-Pandemie überwiegend virtuell blieb. Inzwischen sind die Türen ganz real geöffnet. Und das Interesse an den verschiedenen Angeboten ist riesig. Genau genommen hat das Zentrum drei verschiedene und doch verbundene Aufträge: Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus anderen Ländern wieder in Ägypten zu integrieren, Menschen für den ägyptischen Arbeitsmarkt fortzubilden und Fachkräfte auf ihrem Weg nach Deutschland zu beraten und zu unterstützen. Stand zunächst der ägyptische Arbeitsmarkt für Ansässige und Rückkehrende im Fokus, ist seit Anfang 2023 die reguläre Migration nach Deutschland zu einem festen dritten Standbein geworden.
Riesiges Interesse
„Seit der Eröffnung 2021 haben wir mehr als 12.000 individuelle Beratungsgespräche geführt“, sagt die Leiterin des Migrationsportfolios der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in Ägypten, Shahira Wassef. „Das ist enorm.“ Wegen des großen Interesses und weil die Zielgruppe nicht nur in Kairo zu finden ist, gibt es inzwischen 14 Außenstellen, verteilt im ganzen Land.
Und zwar immer dort, wo die Gefahr irregulärer Migration aufgrund bestimmter sozio-ökonomischer Faktoren besonders groß ist, wo also zum Beispiel hohe Arbeitslosigkeit oder Armut herrschen. Es geht darum, Fortbildungen und Qualifizierung anzubieten, um die Chancen auf dem lokalen Arbeitsmarkt zu erhöhen, aber es geht eben auch um Auskünfte zu Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland.
Von deutscher Seite betreibt die GIZ das Zentrum im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Dazu kommen Vertreterinnen und Vertreter des ägyptischen Ministeriums für Einwanderung und Migration, kurz MoSEEEA. Schon diese Konstellation zeigt, dass die Serviceleistungen im Interesse beider Seiten liegen. Ägypten sucht nach Wegen, seine junge Bevölkerung besser auszubilden und in Arbeit zu bringen, zu Hause genauso wie im Ausland. Deutschland benötigt Fachkräfte und setzt deshalb auch auf gezielte Arbeitsmigration. Im EGC erhalten die Besucherinnen und Besucher Beratung, je nach Lage und Wunsch: Mal geht es um Kurse und Trainings, etwa um Fertigkeiten von Elektromechanikern zu verbessern, mal um Informationen über Voraussetzungen zur Einreise nach Deutschland. Vielen, vor allem jungen Leuten, konnte das Zentrum schon wertvolle Hilfe leisten.
Ein Pilotprojekt eröffnet Migrationswege
Was es genau braucht, um den Sprung nach Deutschland zu schaffen, und wie man dabei am besten vorgeht, testet die GIZ derzeit in einem Pilotprojekt namens THAMM in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit. Auftraggeber sind das Bundesentwicklungsministerium und die Europäische Kommission. Das Projekt läuft in Ägypten, Tunesien sowie Marokko und bereitet Fachkräfte und Auszubildende auf den neuen Lebensabschnitt in Deutschland vor, inklusive formaler Angelegenheiten wie Visa. Und das vor allem in den Branchen Hotel und Gastgewerbe, Bäckerhandwerk, Elektrogewerbe, Bau und Industriemechanik.
Einige Bewerberinnen und Bewerber wurden bereits vermittelt. Wie zum Beispiel Hisham Ayman. Der junge Ägypter lebt und arbeitet heute in Kitzingen, einer kleinen Stadt im Norden Bayerns. Dort macht er eine Ausbildung als Koch. Er spricht schon gut Deutsch, hat beim Goethe-Institut in Ägypten damit angefangen und verfeinert seine Sprachkenntnisse in Deutschland weiter. Er mag seine neue Umgebung. „Ich kann neue Eindrücke sammeln und neue Sachen lernen“, sagt er, im Job und auch sonst. Bei der Ausbildung schätzt er die Mischung aus Praxis und Schule. Sein Ziel lautet: Möglichst viel aufnehmen, den Abschluss machen, danach in Deutschland weiter arbeiten und nach zehn Jahren ein eigenes Restaurant eröffnen.
Solche Aussichten locken viele junge Menschen in Ägypten. „Wir haben deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze“, erzählt Shahira Wassef über das Programm. Bisher konnten 200 Frauen und Männer teilnehmen, „aber der Bedarf ist viel höher“. Allein in Ägypten habe es rund 2.000 Bewerbungen gegeben. Die Erkenntnisse aus der Umsetzung von THAMM fließen in die Beratungsleistungen des Zentrums ein und vervielfältigen dadurch die Wirkung. „Wir erproben damit, wie berufliche Mobilität gelingt“, sagt Wassef und stellt zugleich klar, dass dieser Service der GIZ irgendwann an Stellen im Partnerland übergeben werden soll.
Ähnliche Zentren in anderen Ländern Afrikas
Ägypten mit seiner langen Diaspora-Tradition – geschätzte 10 Prozent der Bevölkerung leben im Ausland – ist nicht das einzige Land, das Möglichkeiten legaler Migration ausloten und anbieten möchte. Auch in Ghana, Indonesien, Irak, Jordanien, Marokko, Nigeria, Pakistan und Tunesien existieren Zentren für Migration und Entwicklung oder werden gerade aufgebaut. Sie alle legen nun ein besonderes Augenmerk auf die Migration nach Europa.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze, die Ghanas Zentrum gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil im Februar 2023 besuchte, fasste die Ziele folgendermaßen zusammen: „Richtig gesteuert, birgt Migration enormes Potenzial für die wirtschaftliche Entwicklung in unseren Partnerländern, aber auch bei uns.“ Und weiter: „Das bestehende ghanaisch-deutsche Migrationsberatungszentrum hilft bisher vor allem rückkehrenden Ghanaern bei der Reintegration. Wir wollen aus dieser Einbahnstraße eine Zweibahnstraße machen.“
Auch Shahira Wassef hält den manchmal geäußerten Vorwurf, die wohlhabenden Länder griffen gut ausgebildete Leute für ihre Zwecke ab, für nicht gerechtfertigt. Allein die Vorbereitung auf die Arbeit im Ausland qualifiziert sie weiter, erst recht die Zeit in einem deutschen Betrieb. Neben Sprache, Kultur und neuen Kontakten erwerben die Ägypterinnen und Ägypter in Deutschland viele zusätzliche Fähigkeiten, die sie später in ihre Heimat zurückbringen könnten. „Wir sprechen deshalb längst nicht mehr von „brain drain“, sagt Wassef, sondern von „brain gain“.